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Edward Albee: Wer hat Angst vor Virginia Woolf?

Von Edward Albee

Regie Susanne Lietzow

Vorstellungsdauer
ca. 130 Minuten, keine Pause

Premiere: Mi. 09. Juni 2021, 19.30

Derniere: Sa. 09. April 2022, 20.00

Über Edward Albee: Wer hat Angst vor Virginia Woolf?

„Ich habe mir mein Leben anders vorgestellt.“

Der Punkt, in dem Parallelen sich treffen, indem sie aufeinander zulaufen, wenigstens für einen Moment zusammenkommen und eins werden, liegt im mathematisch Unendlichen. Im irdisch Endlichen ist dieser Punkt eine perspektivische Täuschung. Zyniker könnten behaupten, dass auf dieser Täuschung Ehen aufgebaut sind.

Edward Albees Stück von 1962 gehört zu den abgründigsten Zurschaustellungen einer Ehehölle. Es ist eine zeitlose Versuchsanordnung menschlicher Beziehungen unter Zuhilfenahme von Alkohol und Rauchwaren vor dem Hintergrund jahrelanger persönlicher und gesellschaftlicher Frustration. Zwei Ehepaare lassen einen langen Abend zu Hause bei einer Afterparty gemeinsam ausklingen und geraten in einen Strudel aus gegenseitigen Verletzungen, Demütigungen und der Aufdeckung von Lebenslügen. Das Stück, in dessen Rahmen die Figuren sich andauernd in perfiden Gesellschaftsspielen ergehen, erscheint selbst in zweiter Ordnung als Gesellschaftsspiel. Ein intelligenter dramaturgischer Trick Albees, dem Publikum den Spiegel vorzuhalten.

Ort der Handlung ist ein amerikanischer Campus. Dieser gilt als der Ground Zero der politischen Correctness. Albee kontrastiert mit den Umgangsformen seiner Figuren die korrekten Regeln in einem krassen Licht.

Ein Theaterabend als Ehe-Performance, ein Parcours der Bitterkeit – und ein wahres Schauspieler*innenfressen.

Team

Es spielen
Regie
Susanne Lietzow
Ausstattung
Marie-Luise Lichtenthal
Musik
Gilbert Handler
Dramaturgie
Tina Clausen
Kampfchoreographie
"Der Obermacker" Michael Kovac, Ricky Sky
Maske
Beate Bayerl
Regieassistenz
Renate Vavera
Kostüm- und Requisitenbetreuung
Daniela Zivic
Tontechnik
Peter Hirsch
Lichttechnik
Katja Thürriegl
Bühnentechnik
Hans Egger, Andreas Nehr

Foto-Galerie

Kritiken

“Alle Achtung. An Dynamik und Bösartigkeit lässt es auch die Inszenierung von Susanne Lietzow (…) nicht fehlen. (…) Die Körper der Spieler werden auch ohne Nahkampf zu Figurinen ihrer inneren Haltung. (…) Selten werden Schauspielerinnen und Schauspieler an Mittelbühnen so spezifisch herausgefordert. Mit Körperbeherrschung ist es aber nicht getan: Am Bühnenrand steht ein Mikrofonständer. Als gäbe es kein Morgen, tragen die von ihren eigenen unerfüllten Ansprüchen zugerichteten, trinkfesten Upper-Class-Figuren dort ihre Empfindungen nach außen. Sie schicken ihrem Tun beachtliche Gesänge hinterher. Lisa Schrammel intoniert schließlich den Titanic-Titelsong My heart will go on so inbrünstig, dass sich selbst Céline Dion warm anziehen muss. Da wird etwas geboten!”
Der Standard
“An der Gumpendorfer Straße herrscht Ehekrieg. Susanne Lietzow gelingt eine präzise, artistische Inszenierung von Albees Drama (…) Beachtlich gut! Michaela Kaspar spielt die launisch-triebhafte Tochter des Patriarchen mit Inbrunst. In den politisch unkorrekten Swinging Sixties hätte man sie ungestraft eine Bitch nennen können, so wie man den von Jens Claßen gespielten George ein Weichei genannt hätte. Doch beide geben ihren Part raffinierter. (…) Lisa Schrammel und Raphael Nicholas beherrschen dieses Schimmern ebenfalls. Sie sehen aus wie nette junge Leute und haben doch Abgründe zu verbergen. (…) Lietzow hat sich hier viel Klamauk einfallen lassen. Vor allem aber wird der Kern präzis herausgeschält. Erbarmungslos. Soll man vor Virginia Woolf Angst haben? Unbedingt! Nach dem Schlachtfest im TAG wieder etwas mehr.”
Die Presse
“Freilich geht es in dem Spiel tiefer, viel tiefer. Und verletzender. Das gelingt der aktuellen Inszenierung von Susanne Lietzow teilweise vortrefflich.”
Falter
“Die Schauspielerinnen und Schauspieler sind verdammt gut.”
Falter
“Regisseurin Susanne Lietzow entschied sich (…) dazu, den Text behutsam zu aktualisieren. (…) Albees Motiv der zynischen Gesellschaftsspiele wird im Stile eines Karaokeabends weitergedreht. Wobei die Einsamkeit der Protagonisten in den Popballaden am besten zum Ausdruck kommt. Die vier dürfen sich zudem als Halbgötter des Gemetzels betätigen. (…) Schauspielerisch sind keinerlei Schwachpunkte zu vermelden. Jens Claßen gibt den George, der seine scheinbare intellektuelle Überlegenheit auskostet, angemessen blasiert. Michaela Kaspar glänzt als frustrierte Martha, die sich stets kampflustig gibt. (…) Starkes und amüsantes Schauspielertheater, das für viele echte Lacher im Publikum sorgt. Und für lang anhaltenden Applaus.”
Kurier
“Susanne Lietzow lässt offen, wer hier wem und was vorspielt. Sie inszeniert das Stück vor allem als großen Showkampf. (…) Da braucht es auch das Gelächter aus der Konserve nicht (…) Man hätte das Spiel, in dem sich Verzweiflung mit Triumph, Sehnsucht mit Versagen, Gemeinheit und Zärtlichkeit abwechseln, in dem Wahrheit in Lüge, das Spiel abrupt in den Ernst des Lebens umschlagen kann, auch so als inszenierte Show zum Zwecke der Erbauung an menschlichen Grausamkeiten verstanden.”
Die Furche
“Kaum zu glauben, sechzig Jahre hat dieser moderne Klassiker auf dem Buckel. In der Inszenierung von Susanne Lietzow und mit der Spielfreude dieses Ensembles wirkt Edward Albees Ehedrama aber ganz aktuell.”
Kurier

Über die Produktion

Wer hat hier Angst …?
Wer fühlt sich hier nicht wohl?
Wer blickt sich da verstohlen über seine Schulter?
Wer ist auf das Urteil anderer so notwendig und dringend angewiesen?
Wer fühlt sich gefangen? Eingeengt?
Und wer hat noch den Anspruch, das Bedürfnis oder auch die Kraft, sich zu befreien? Sich loszulösen aus Verhältnissen, die womöglich in der zweiten Hälfte unsres Lebens sich wie trocknender Zement verdichten?

Oh, wie beneiden wir da nicht die Jugend, zumal wenn sie begabt ist und begehrenswert. Was projizieren wir da nicht unverschämt auf ihre herausfordernde, uns so verunsichernde Präsenz. Oh, wie bedrohlich sie schon nach den Positionen langt, die wir nicht oder nicht mehr innehaben und auch niemals werden …
Wir könnten dieser Jugend eine Falle stellen, einen Honigtopf, versetzt mit schwerem Alkohol! Sie derart unvorsichtig machen, um sie zu umschleichen, auszulauschen, es als Spiel ihr vorzuschlagen (Kinder spielen gerne)! Sie verführen, angriffslustig, mit unserer ach so intellektuellen Brillanz. Sie überlisten mit unserer tiefren Einsicht oder auch mit ihrem eigenen, durch das Gift enthemmten, tierischen Verlangen. Wir könnten sie in ihrem unverhohlenen Narzissmus an der Gurgel oder etwas tiefer packen, ihr den Lebensnerv und die vitale Zufuhr einschnüren, bis sie ebenso betäubt und abgestumpft ihr Leben fristet und uns nicht mehr so bedroht. Verdammt!

Wie spät? Das geht sich aus. So zwischen zwei und sieben Uhr morgens haben George und Martha, diese beiden modernen Monstren aus Edward Albees durch die Zeiten sich haltenden Reißer, ihre Wohnhöhle geöffnet, auf dass man sich auf riesigen, scheinbar bequemen Pölstern niederlässt, versinkt, ohne zu merken, dass man sich in einer Arena aufhält, in der als Waffen einzig der Alkohol und der Zynismus zugelassen sind. Und die nur aufgeschlagen wurde, um den eigenen, nicht oder doch zu wenig hinterfragten, sicher aber zynisch angetriebenen Lebensentwurf in kleines Granulat zerrieben ausgehändigt zu bekommen.

Dies ist das Spiel. Und ist der Mensch nicht da erst richtig Mensch – da, wo er spielt?
Dann lassen Sie uns spielen!

„Wer hat Angst vor dem Raubtier? Im Fell des jungfräulichen Schafes vielleicht? Vor der Krankheit? Vor dem Tod?“ Wir spielen das Spiel „Wer hält den Hass am längsten aus?“ „Wer kann uns weiter auseinandertreiben?“ „Wer oder was beherrscht uns eigentlich? Im Grunde?“ Wir spielen das Spiel „Wer ist am besten vernetzt und informiert?“ Das Spiel „Wer hat die richtigen und opportunen Kontakte?“ Das Spiel „Wie geht´s den Kindern?“ Und „Was machen Sie denn so beruflich?“ „Noch einen Drink?“ Dies ist ein besonders abgefeimtes Spiel: „Mir können Sie das alles sagen. Keine Angst!“ Und: „Ich bin da ganz auf Ihrer Seite. Freunde?“ Brandgefährlich! Vorsicht! Dies und das. „Wo tut es Ihnen wirklich weh, damit man Sie im Falle eines Falles auch beschützen kann. Wo kam das Lindenblatt genau zu liegen zwischen Ihren Schulterblättern?“

Jetzt werden wir nicht paranoid. Wir wollen doch nur Spaß! Das Leben ist zu kurz. Wir spielen das Spiel „Gesellschaft“. Und das kann man überall und auch zu später Stunde spielen. Im echten oder auch im digitalen Raum. Da geht es ganz besonders gut. Es könnte jedoch sein, dass man dann eines Morgens filetiert und bis hinab zu seinen Knochen abgenagt erwacht. Davor sollte man schon Angst haben. Was die anderen dann sagen werden …?

Susanne Lietzow ist eine stilsichere, bilderstarke und auch (erlaube mal!) trinkfeste Kämpferin für das Theater und seine spezifischen Zaubereien. Ihre Herangehensweise zielt immer über das konventionelle Begreifen hinaus. Ein Stück bloß umzusetzen, es zu spielen, reicht ihr nicht. Lietzow geht beharrlich auf das implizit und verborgen liegende Ganze. So kann es in ihren Inszenierungen zu frappierenden Einsichten über die tiefgeschichteten Seelenlandschaften kommen, welche Lietzow mit bisweilen unverschämten, performativen Elementen anreichert und an die Oberfläche befördert. Der Ringkampf, die Überschwemmung, die glatte Eislauffläche und vieles andere mehr dienen ihr und ihrem Team stets als Anschauungs-Offert und Einstiegsluke in die höllischen Kreise der Gesellschaft oder auch der Psyche. Man hat bei Lietzow immer das Gefühl, das Stück nicht nur zu sehen, sondern auch gleichzeitig zu träumen. Ihr psychologisches Instrumentarium erfasst einen unabhängig vom Text und man fühlt sich beim Zusehen bereits ertappt.

Das Eine, das Andere, das Reale, die Konstruktion, die Dekonstruktion, die Begriffe, der Diskurs. Die Regeln, die Gesetze. Die Herrschaft. Was soll‘s. Ein Spiel ist ein Spiel ist ein Spiel. Also: Welcome to the jungle. Wer hat Angst …?

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