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Onkel Wanja

Von Anton Tschechow

Fassung und Regie Arturas Valudskis

Vorstellungsdauer
ca. 2 Stunden 30 Minuten, inkl. einer Pause

Premiere: Sa. 01. Okt. 2022, 20.00

Über Onkel Wanja

„Man muss ein Werk schaffen, Herrschaften!“

Die Sinnsuche des Individuums, der es durch die Produktion eines Werks vielleicht entgegenkommen könnte, hat sich in den letzten Jahren nicht in Richtung einer Lösung entwickelt. Im Gegenteil. Ein Phänomen unserer Zeit: Wir Menschen verharren in seltsamer Lethargie und einem andauernden Gefühl von Unzufriedenheit. Wir fühlen uns hilflos und unserer Lebenssituation ausgeliefert und bekommen einfach unseren Hintern nicht hoch.

In Tschechows Meisterwerk ONKEL WANJA geht es genau um solche Existenzen, die sich nach einem Ausweg aus ihrem unbefriedigenden Sein sehnen, daran leiden, sich aber dennoch nie dazu aufraffen können, ihr Leben oder die Welt aktiv zu ändern. Diese Eigenschaften der tschechowschen Figuren stehen in einem erstaunlich analogen Verhältnis zu einem Lebensgefühl unserer Gegenwart und machen seine Stücke deshalb heute immer noch so aktuell und spielbar.

Arturas Valudskis, anerkannter Tschechow-Interpret, der am TAG schon erfolgreich DIE MÖWE und den KIRSCHGARTEN in Szene gesetzt hat, nimmt sich dieser Figuren an und begleitet und formt sie liebevoll auf ihrem Weg. Seine Fassung von ONKEL WANJA wird gemeinsam mit dem Ensemble im Probenprozess in bewährter Weise aufs Wesentliche reduziert und in eine neue sprachliche Form gegossen und in Valudskis poetisch-minimalistischer Bildsprache auf die Bühne gebracht.

Das Komödienhafte und Humorvolle an Tschechows Texten ist Valudskis immer ein großes Anliegen. Und so entlässt er das Publikum am Ende mit einem Lächeln und der augenzwinkernden Botschaft, dass sowohl Handeln als auch Nichtstun die schleichende Auflösung menschlicher Verhältnisse in sich bergen können.

Team

Es spielen
Textfassung
Arturas Valudskis
Regie
Arturas Valudskis
Ausstattung
Alexandra Burgstaller
Dramaturgie
Tina Clausen
Licht
Katja Thürriegl
Regieassistenz
Renate Vavera
Kostüm- und Requisitenbetreuung
Daniela Zivic
Bühnentechnik
Hans Egger, Manuel Sandheim, Andreas Wiesbauer

Foto-Galerie

Kritiken

“Im Theater an der Gumpendorfer Straße macht der Litauer Arturas Valudskis ‚Onkel Wanja‘ zur köstlich absurden Komödie (…) Gespielt wurde lust- und kunstvoll von einem der besten Ensembles der Stadt, mit Ehrfurcht vor der Sprache (…) Den Geist Tschechows hat man jedenfalls getroffen. (…) Raffiniert agiert das Ensemble (drei davon auch in zweiten Rollen) bei Entwickeln dieser Atmosphäre. Schubert, Kaspar und Claßen bilden im TAG seit vielen Jahren ein Team, das auf höchstem Niveau zusammenspielt.”
Die Presse
“Wenn Komödie eine Tragödie ist, die den Notausgang findet, ist die Tragödie bei Tschechow eine Komödie, die ihn eben nicht findet. Der Theatermacher Arturas Valudskis hat für das TAG eine neue, harte, aber auch sehr komische Fassung erstellt. Drastisch reduziert auf die entscheidenden Sätze und wenige Requisiten wird hier mit viel Bewegungstheater die Geschichte einer Gesellschaft erzählt, die der eigenen Hölle nicht entgehen kann, weil sie gar nicht will – diese Hölle ist ihr schließlich Heimat. Das Ensemble (…) spielt hinreißend gut. Großer Jubel!”
Kurier
“Es ist kein geringes Vergnügen, mit diesen alten Trantüten Theaterzeit zu verbringen. Und auch die Slapstick-Inszenierung von Arturas Valudskis im TAG arbeitet sich mit subtilen Gags durch die Trägheitstragik dieser Leute. (…) In einer gekürzten und sprachlich gelegentlich zugespitzten eigenen Fassung lotst dieser Abend mit nichts als ein paar Objekten (…) durch profunde Tristesse-Wochen. (…) Bis auf ein allzu zerdehntes Fade-out im letzten Drittel überzeugt dieser Abend mit sparsam dosiertem Theaterzauber.”
Der Standard
“Arturas Valudskis, ein Meister des poetischen (Theater-)Minimalismus, ersetzt für seine dritte Tschechow Inszenierung am TAG weite Teile, in denen es um nichts geht – oder um alles –, durch dialoglose Spielsequenzen zwischen skurrilem Material- und hochpräzisem Körpertheater. (…) Georg Schubert (…) gibt der Verzweiflung des alternden Anti-Helden eine überzeugend leidenschaftliche Facette. (…) Vor allem aber ist es Ida Golda als hoffnunglos liebende Sonja, der die Inszenierung ihre berührendsten Momente verdankt.”
Wiener Zeitung
“Saufen, das Fehlen von Sinnhaftigkeit im Leben und eine allgemeine Unfähigkeit zu wahren Emotionen. Anton Tschechow hat diesen Mangel bereits Ende des 19. Jahrhunderts für seine Gesellschaft diagnostiziert und dafür das Stück ‚Onkel Wanja‘ in ein Landgut in den Weiten Russlands verlegt (…) Der gebürtige Litauer Arturas Valudskis (…) hat ihm dabei alles belassen, was den Reiz eines solchen Stückes ausmacht. Dazu zählen die Fadesse, wehleidiges Hadern mit allem und jedem und der kategorische Ausschluss jeder Art von Glück. (…) Um den Zuschauern Raum zum Nachdenken zu geben, gibt es viele lange ruhige Passagen, in denen sich nichts tut außer einer Untermalung mit a cappella Gesang. Als Auflockerung dienen Gags wie eine Art Silly Walking, die grundkomische Duellszene zwischen dem Professor und Wanja oder die Kraftproben, bei denen sich alle am Lüpfen eines sauschweren Steins versuchen.”
Kultur und Wein
“Manches Mal gerät man an Theaterabende, die sich anfühlen, als sei man in eine sonderbare Art von Panoptikum geraten. In einem solchen findet man sich nicht ad hoc zurecht und kann auch Zeit und Raum verlieren. Wenn man sich aber darauf einlässt, dass man Dinge sieht, die man nicht erwartet hat, macht es unglaublich Spaß, sich darin aufzuhalten. Diese Metapher könnte man auch für Inszenierungen von Arturas Valudskis anwenden. In seiner neuen Arbeit am TAG bedient er sich einer soliden Textfassung von „Onkel Wanja“, die nahe an Tschechows Original bleibt. Aber wie die einzelnen Szenen aneinandergesetzt werden, sowie einige prägnante Stilmittel verleihen der Inszenierung eine unverwechselbare künstlerische Handschrift. (…) Neben den vielen, wirklich amüsanten Momenten ist es vor allem die ansteckende Spielfreude des Ensembles, die unglaublich bezaubert. (…) Arturas Valudskis‘ Wanja-Interpretation am TAG schafft das Kunststück, dem Inhalt jenen nötigen Tiefgang zu belassen, den es für heute noch so interessant macht. Zugleich aber verleiht er seiner Inszenierung eine Leichtigkeit, die klarmacht, dass Theater wesentlich mehr kann als die Menschen mit erhobenem Zeigefinger zu belehren.”
European Cultural News
“Das TAG lockert das Stück von Tschechow mithilfe eines großartigen Ensembles durch Slapstick-Einlagen auf, ohne die gesellschaftskritischen Aspekte des Stückes zu vernachlässigen.”
Neue Wiener

Über die Produktion

„Wir reden schon seit fünfzig Jahren, wir sollten endlich damit aufhören.“

Der Stein, der Tisch, die Flasche, der Baum … Die Lebenslast, der Abgrund, der inhaltsleere Idiot, der Trieb … Steine schleppen, Tische rücken, Flaschen leeren, Bäume pflanzen.

Was soll man noch tun? Mehl am Markt verkaufen? Argumente auf der Agora? Landgüter von hypothekarischen Lasten freischuften? Oder – das machen, was der Arzt sagt? Kommt noch ein Arzt?

Russland: eine Gegend bei Charkow, ein Landsitz, ein Rückzug, eine Einöde, ein Endpunkt, eine Hölle …

ONKEL WANJA ist der zweite von Tschechows vier großen letzten Bühnenklassikern, in denen er uns seine Vorstellung von Komödie eingeschrieben hat. Und es ist der Komischste von allen. Die Menschen darin sind wie die Kinder. Sie wollen immer nur im Hier und Jetzt sein. Wollen das Alte, Überkommene nicht ändern, das Morgen nicht erleben. Nicht zu Bett gehen. Sie träumen mit offenen Augen und versinken verloren in ihren phantastischen Gebilden. Ihre Vorstellungen von Liebe und Lebenssinn sind dermaßen naiv, dass es fast schon wieder sympathisch, immer aber gellend komisch wirkt. Jeder/jede dieser Menschen ist verdreht in einer anhaltenden Pirouette mit sich selbst, verloren im eigenen Spiegelbild, beständig mit sich beschäftigt.

In ihrem Zusammenspiel aber vermittelt Tschechow uns ein eigenartiges, uraltes Wissen: Handeln heißt immer Gewalt ausüben, Katastrophen anrichten, Schmerzen zufügen. Anderen, sich selbst. Bis man sich die Frage stellt: Was ist das Eigentliche, das Wirkliche? Beruflicher Erfolg, Preise, Ansehen, die Gesellschaft, das ganze Theater: All dies bleibt Illusion und Vexierbild, wenn man kein wirkliches Leben hat.

Und das wirkliche Leben gilt es zu schultern. Wir tragen es wie einen Stein mit uns von A nach B. Wir tragen an unseren Gedanken, unseren Bildern, Aufführungen, Vorstellungen vom Leben. Manchmal tonnenschwer und unveränderlich. Alle zehn – alle sieben Jahre – jedes Jahr holt uns eine Krise ein. Und langsam quietschen unsere Gelenke und die Schwielen vernarben schon. Wir müssen uns entlasten, uns befreien, Abstand nehmen, frieren vielleicht …

„Nur das Nötigste – das nötigste Nötigste!” Dieses Axiom gilt auch als eines der hervorragenden Prinzipien einer radikalen Moderne. Die Kampfansage gegen die warme Lüge der Mottenkiste, des Historismus, der falschen Gefühlsmanipulation. Becketts Quadrat, Malewitschs Quadrat, Mies van der Rohes Flächen sind die frühen Endpunkte dieses kalten Imperativs. Zahlreiche Wellen des Theaters der Avantgarde haben immer wieder auf dieses Prinzip zurückgegriffen. Das Sub- und Abstrahieren, das Weglassen des Störenden, Überflüssigen, des Ornamentalen. Eine Aufführung ganz ohne Dekorum, nur mit Raum, Licht und der Präsenz von Schauspieler*innen … Text. Und selbst dieser Text befreit von allem Bindegewebe und Verpackungsbröseln.

Arturas Valudskis ist ein „klassischer Avantgardist“. Ein Widerspruch in adjecto vielleicht, aber dem Prinzip des Allernötigsten ist er verpflichtet wie der Prophet den Geboten. Selbst bei der Beleuchtungsprobe verzichtet er auf jegliche Farbgebung. Auf die Frage „Warum?“ antwortet er resolut: „Aus Prinzip!“ Valudskis braucht schier nichts! Bewundernswert, wie er mit den kleinsten Mitteln, der eingeschränktesten Palette traumhafte Bilder auf die Bühne zaubert, innerhalb derer die Spieler*innen wie in einem Weltraum flotieren, schlafend, wachend, träumend.

Die tragische Welt als komisch zu kennzeichnen ist auch sein großes Anliegen. Eine absurd wirkende und angeblich der russischen Seele innewohnende Neigung will auch er als sein „Lebensprinzip“ auf die Bühne imaginieren. Leicht zu missdeuten. Man weiß, dass man hier einem engen Grat entlang spielt und blickt. Und dennoch ist es Valudskis immer um das Lachen bestellt. Leichtigkeit und Humor, zumal diese uns hier von einem russischen Kulturträger der Sonderklasse auf einem litauisch-polnischen Regie-Tableau gereicht werden, sind auch in diesen Zeiten das Desiderat, sollte man meinen …

Wir werden in Zukunft einiges weglassen müssen. Aus Prinzip. Leider. Die Abstraktion als Sanktion. Es könnte kalt werden, schon bald, und unsere gewohnte Welt könnte (oder sollte man sagen: wird) ein paar ungewohnte Einrückungen und Tiefstände erfahren. Wollen wir da in die Zukunft blicken? Können wir sie ertragen? Wagen wir es? Wie werden die Menschen in hundert Jahren sich an uns erinnern? Eine typische tschechowsche, komische Frage. Sind wir überhaupt fähig, das Überholte und falsch Eingewohnte zu lassen? Drehen wir uns tanzend in eine helle und vernünftige Zukunft oder in einen Abgrund? Gleichen wir diesen kindlichen Menschen, den Moment umarmend, die Sterne sich wünschend, die den nächsten Untergang nicht sehen wollen?

Ein Stein, ein Verhandlungstisch – und ein paar leere Flaschen. Das ist doch brechend komisch.

Gernot Plass
Künstlerischer Leiter des TAG

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