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Der Nachmittag der lebenden Toten

Von Thomas Desi

Sehr frei nach „Night of the Living Dead“ von George A. Romero

Vorstellungsdauer
ca. 75 Minuten, keine Pause

Uraufführung

Premiere: Sa. 03. Dez. 2016, 20.00

Über Der Nachmittag der lebenden Toten

Der Zombie oder der lebende Tote ist neben dem Superhelden wohl die größte Ikone der Trivialkultur. Er eignet sich hervorragend, Hedonisten, Konsumenten und Smartphone-Benutzern eine mythologische Rahmung zu verpassen.



Grundlage für Thomas Desis Stück bildet der erste Zombiefilm „Night of the Living Dead“ von George A. Romero aus dem Jahr 1968. Während üblicherweise das Genre Zombiefilm mithilfe der Darstellung halbverwester Leichen nekrophile Phantasien und Schaudern vor dem Ekelhaften nährt, zeichnet sich Romeros Klassiker vor allem als psychologisches Kammerspiel einer kleinen Menschengruppe aus, die sich mit der Bedrohung durch die Untoten auseinandersetzen muss.







Eine Wohnung mit zu niedriger Decke. Eine Ansammlung von Menschen. Zusammengeworfen in Gefangenschaft. Smartphones mit leeren Akkus. Ben, Barbra, Harry, Hellen und Tom, die ProtagonistInnen des Ausgangsfilms, finden sich in Desis Version wiederum in einer klaustrischen Einrahmung wieder. In einem zu niedrig gebauten Investitionsobjekt im siebten Wiener Gemeindebezirk. Mitten in Bobostan. Leicht verzweifelte und groteske Gespräche über Wiedergeburt und vietnamesische Eier werden abgespult. Und langsam zeigt sich, dass hier ein paar alte Rechnungen beglichen werden sollen. Was als ironische Situationskomödie beginnt, steigert sich zu einer existenziellen, hysterischen Farce mit fatalem Finale. Die zunächst kultiviert wirkenden Personen entpuppen sich immer mehr als barbarische ZynikerInnen und TrägerInnen eines virtuellen Zombie-Virus. Aufgefressen werden sie von ihrer eigenen Gier, ihrem Autismus, ihrer Rücksichtslosigkeit und ihrer gegenseitigen Verachtung.







Den Innenraum, der in „Night of the Living Dead“ die letzte schützende Bastion darstellt, zum Kerker zu machen und die Zombies zur Metapher eines sozialpolitischen Klimas, ist das Ziel Thomas Desis Assoziation zum Kultfilm. Sehr witzig. Doch Vorsicht: starker Wiedererkennungsfaktor.

Team

Es spielen
Text
Thomas Desi
Regie
Thomas Desi
Ausstattung
Alexandra Burgstaller
Dramaturgie
Isabelle Uhl
Licht
Hans Egger
Regieassistenz
Renate Vavera
Regiehospitanz
Marie Pfefferle
Kostümassistenz
Anaelle Dezsy
Technik
Frank Fetzer, Andreas Nehr

Foto-Galerie

Über die Produktion

Seit langem herrscht eine gewisse Verwirrung zur Rechtfertigung des modernen Dramas. Kann es noch in einer komplexen, kapitalistisch gesteuerten, hundertfach fragmentierten Gesellschaft einheitliche Wirklichkeit darstellen? Schafft es noch, die Furcht und das Mitleid im Bewusstsein des Zuschauers zu erregen? Ist es noch die moralische Anstalt? Zuständig für Aufrichtung, Erbauung, Bildung des Bürgers? Spiegel der Gesellschaft? In dessen Verzerrungen Monstrositäten emergieren – abstoßend und zugleich faszinierend? Dient es der Entspannung? Um nach langen und ermüdenden Stunden im Entfremdungsprozess der industriellen Arbeit lösenden Ausgleich zu finden, weil es sanfte Betäubungsmittel reicht? Fordert es den Zuseher zum Agieren auf? Oder lehrt es bloß die Führung eines distinguierten und geistreichen Dialogs, um in den diskursiven Florett-Gefechten innerhalb der bürgerlichen „Salons“ zu bestehen?

Das sogenannte „Theater des Boulevards“ ist eine großstädtische Dekadenz-Antwort auf jene Fragen, die aus der noch feuchten Krise des modernen Dramas um die vorige Jahrhundertwende tropften. Antwort unter Gänsefüßchen, da es sie (die Fragen) einfach vom Verhandlungstisch wischt und einzig die Situation zum Fetisch und Allheilmittel des theatralen Vorgangs erklärt. Mitleid, Furcht, Erbauung werden höchstens verlacht, Handlung und Dialog verwildern zum grellem Effekt, als Wirkungszweck interessieren kann nur mehr die reine Unterhaltung, welche dem Zuseher erwächst aus der gesteigerten, auf einen Gipfel zulaufenden, moralisch nicht mehr lehrreichen, sondern eher abschreckenden Komik der Situation. Die grellbunte Zimmerschlacht im Ein-Akt-Format. Ihre Handlungsmotive waren und sind stets: die marode Gattentreue und das zu durchzubringende oder zu ergatternde Privateigentum. Seine Figuren müssen durch die Situation aufgelöst und zerlegt werden. Was den voyeuristischen Betrachter einerseits köstlich unterhält, andererseits auch unbehaglich fasziniert.

Den Menschen im Innern zu sehen, ihm die Haut abzuziehen, damit er seine verborgenen anatomischen Geheimnisse preisgibt, ist, von den grauenvollen Hinrichtungen des Mittelalters, den Leichenöffnungen der frühen Wissenschaften bis hin zu den plastiniert ausgestellten Objekten unserer Tage ein konstantes Faszinosum. Ein Aufmerksamkeitsmagnet, aus dem auch die popkulturelle Figur des Zombies ihre Anziehung erhält. Der Zombie huscht nicht wie der Werwolf oder der Vampir im Schock-Effekt durchs Bild. Der Zombie ist für die lange Einstellung gemacht. Man will ihn betrachten.

Thomas Desi ist ein Synästhetiker. Er hört Theatersituationen und Charaktere wie Musik in seinem Kopf. Die theatralen Klang-Vorstellungen im Kopftheater des studierten Dirigenten und Musiktheoretikers Desi sind mitunter so konkret, das er sie buchstäblich nur abzuschreiben braucht, was dem erstaunlichen Umstand Rechnung trägt, dass er in einer Nacht mehrere Theaterstücke herstellt. Pure Übertreibung! – würde er jetzt sagen, aber es klingt zumindest gut. Wiewohl der gute Klang ein zentrales Element der Desi-Innenwelt darstellt. Dieser Innenwelt nun fiel es auf, oder besser: es „erklang“ in ihr ein kurioser Brückenschlag von folgenden Gegebenheiten: Boulevardtheater – Zombiefilm –Zynismus. Letzterer in seiner smarten, großstädtischen Form und epidemischen Verbreitung. Desi steckte in einer Nacht des lebendigen Schaffens diese Brücke in einen Karton und legte sie dem Dramaturgiebüro dieses Hauses vor. Ausgangspunkt: Der klassische Kultfilm: “Die Nacht der lebenden Toten“ von George A. Romero. Die Herausforderung, im nächsten Arbeitsschritt jene gewollte Bilderwelt in Zusammenarbeit mit einem, von diesen Visionen völlig unbehelligten Team in die konkrete Wirklichkeit zu werfen, war nur noch lästiger Widerstand.

Der Zyniker, so Desi, in unserer Gesellschaft ist längst nicht mehr der Einzelne, hochindividuelle und distanzerzeugende Spötter, der niemanden zu brauchen vorgibt. Nein – er ist ein Massenphänomen. Informiert durch hunderte öffentliche und private Medien-Kanäle durchschaut er alle Betriebsgeheimnisse der höheren Zivilisation und weiß Bescheid. Er gibt sich besorgt und verständnisvoll und einfühlend. Illusionslos aber handelt er wider dieses bessere Wissen, herabgezogen von der Macht der Dinge und der Eigeninteressen.

Allgemeine Gesetze sind für die anderen, für die Dummen, für all die „Zombies“, die den vom Zyniker durchschauten Widersprüchen auf den Leim gehen, während sich um seine verschlossenen Lippen das kluge und verzogene Lächeln des Bescheidwissenden abzeichnet. Und die Zombies, so Desi mit klugem Lächeln, sind immer die anderen.

Desi ist es – im selben Maße sowie der Autor dieser Zeilen – wir alle sind es: Bescheidwisser, großstädtische Weltversteher, kapitalbesitzende sogenannte Gutmenschen mit hidden agenda, oberflächlich eingesperrt in der kleinen Zimmerflucht der politischen Korrektheit. Unser gesellschaftliches Leben haben wir ideologisch so abgesichert, dass es Gefahr läuft, unter der Hand uns abzusterben. Nur in unterschwelligen Bocksgesängen und abgründigen Witzen, weitergereicht unter vorgehaltener Hand, verschafft sich das Getötete, aber doch nicht Gestorbene wiederum Einlass. Es humpelt und stakst auf uns zu und es verfolgt uns, wo und wie auch immer wir uns davor abgrenzen. Was für eine Situation! Was für ein Boulevardtheater!

Das Abgestorbene in uns, um das man tief drinnen Bescheid weiß, erzeugt im reflektierten Bewusstsein der Moderne seine eigene zynische Ausprägung. So betrachtet ist Zynismus nichts anderes als der innere Bretterverhau, errichtet, die noch nicht ganz tote Liebe abzuwehren. Eine steile These, die einer genaueren Überprüfung wahrscheinlich nicht standhält, aber sie klingt gut. Die nicht mehr liebenden Toten in den Großstadthäuserschluchten auf der Suche nach Nahrung. Guten Appetit und viel Spaß!

Gernot Plass
(Künstlerischer Leiter des TAG)

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