(Ein) Käthchen.Traum
oder Der seltsame Fall aus Heilbronn
Frei nach „Das Käthchen von Heilbronn“ von Heinrich von Kleist
- Vorstellungsdauer
- ca. 110 Minuten, keine Pause
Uraufführung
Premiere: Sa. 25. Feb. 2017, 20.00
Über (Ein) Käthchen.Traum
Würde man es mit hartem, aufgeklärten Blick lesen, dann wäre das „Käthchen von Heilbronn“ üble romantisierende Propaganda. Dieser Text steht im Verdacht, die Vorstellung von der Vorbestimmtheit der großen Liebe des Lebens durch den Ratschluss der Engel in Millionen Köpfe empfindsamer deutscher Bürgerkinder gesenkt zu haben. Heinrich von Kleist wäre nach diesen Maßstäben ein Verrückter. Seine konsequente Haltung, den Somnambulismus metaphysisch zu deuten, sein brüllendes Verlangen nach Intensität der Liebesbeziehung, nach Steigerung, Überhöhung, Übertreibung ließ ihn ja nicht nur derlei Dramen verfassen, sondern trieb ihn letztlich sogar in den Selbstmord.
Was liegt vor? Ein Märchen, in dessen Fortgang Cherubime walten, Nebenbuhlerinnen zu technisch aggregierten Monstern stilisiert werden, deutsche Kaiser ex machina emergieren, eigene Verfehlungen eingestehen und ein rechtschaffenes Mägdlein emporheben. Dieses lässt sich im Bezug auf die ihr zugeraunten Prophezeiungen nicht und nicht beirren, bis ihr nichts mehr fehlt zum höchsten Glück: die Heirat mit dem ihr vorherbestimmten „Märchenprinz“ samt Erhebung in den Adelstand ganz nebenbei. Und gleichzeitig ist dieses Märchen eine frühe Erkundung der später entdeckten und als „das Unbewusste“ bezeichneten Nachtseite menschlicher Seelenökonomie.
So weit, so „modern“. Wie dem beispringen? Heute? Sollte man das verteidigen? Sind wir nicht alle verborgene RomantikerInnen? Gernot Plass versucht eine Neudeutung und Überschreibung dieses dramatischen Filetstücks deutscher Ritter-Romantik und führt die Handlung zunächst über eine mafiöse Groteske in einen nervenzerfetzenden Psychothriller, um sie in eine kafkaeske Höllenfahrt fortzutreiben, bis er sich schließlich mit der Romantik in nächster Ordnung wieder versöhnt. Love is in the air! Taschentücher mitnehmen.
Team
- Es spielen
- Alexander Braunshör
- Jens Claßen
- Sven Kaschte
- Nancy Mensah-Offei
- Raphael Nicholas
- Georg Schubert
- Elisabeth Veit
- Text
- Regie
- Ausstattung
- Musik. Einstudierung
- Chor-Arrangement
- Sound
- Projektionen
- Licht
- Ton
- Maske
- Regieassistenz
- Regiehospitanz
- Ausstattungshospitanz
- Kostüm-, Requisiten- und Fundusbetreuung
- Technik
- Bühnenmalerei
- Andrés Garcia
- Andrés Garcia
- Dr. Plass
- Peter Hirsch
- Hans Egger
- Peter Hirsch
- Benjamin Seidl
- Elisabeth Leeb
- Frank Fetzer, Andreas Nehr
- Arno Popotnig
Foto-Galerie
Über die Produktion
Was ist das Konzept des Textes?
Zunächst: Was ist das – eine Überschreibung? Dies Verfahren, so könnte man mit Fug und Recht behaupten – ist im Grunde eine Frechheit. Denn man holt sich einfach einen Text her, plündert schamlos seine Konstruktion, bedient sich bei der Sprache, den Zitaten, Handlungsmustern, den Figuren, Wendungen und kippt ganz einfach schamlos, keck, was man sich selbst so ausgedacht hat oder auch für wichtig hält, darüber. Eine mehr als eitle Operation.
Sollte man das dürfen? Zeigt das niemand an? Wo bleibt die durchaus vorstellbare Häme? Sie bleibt aus. Im Gegenteil: Die solcherart zustande gekommene Theateraufführung wird zumeist gelobt, sogar im Ausnahmefall für Preise vorgeschlagen, manchmal sogar von anderen Bühnen eingeladen und bestellt, und auch die Zeiten, wo man sich erklärte und nach Rechtfertigung und Argumenten sich umsah sind – so scheint’s – vorbei. Man atmet Freiluft. Denn es funktioniert. Warum?
Die Sache mit der Frechheit war uns lange nicht bewusst, doch ist im eigentlichen Sinn das Stück, also der Ausgangstext nicht angerührt. Man spielt ja nicht „Das Käthchen von Heilbronn“ von Heinrich von Kleist. Von, von, von, von … das macht man nicht! Verschandelt es somit, zertrümmert, missinterpretiert es nicht – nicht bürstet man es gegen seinen Strich oder dekonstruiert es, alles also, was man dem Regietheater gerne vorwirft. Nein. Man dichtet einen völlig neuen Text, der aber, und das ist das eigentliche Salis Granum, über den Motor, über die Maschine des Stücks, also über seine Konstruktion, seine Figuren wie eine Folie ausgebreitet wird. Der so entstandene Text selbst ist das Novum. Der Ausgangstext Hintergrund, das Stück Antriebsmechanismus. Das Theater also Ur- und Erstaufführung, doch zugleich auch Interpretation der Klassik und des Kanons.
Darin wird so manches möglich, was so mit Regie niemals gelingt und/oder, wenn man es versucht, zerstörerisch sich auf den Klassiker erweist. Nämlich: das Konzept oder die Konzeptregie. In dieser völlig neuen Freiheit kann der Text sich flexibel jedem Konzept anpassen, ihm entgegenschwimmen, sich geschmeidig neuen Ideen zur Verfügung stellen. Denn – und diese grundsätzliche Frage muss gestellt sein – was versucht man als TheatermacherIn? Was will denn das Theater generell mit diesen alten Texten? Oder größer gefragt: Wofür bildet unsere Gesellschaft SchauspielerInnen und RegisseurInnen aus? Erhält ein gar nicht billiges Theatersystem? Die alten Texte sollen – wen verwundert’s – bilden. Jede neue Generation von Jungen sollte mit ihnen in Berührung kommen, die Texte sollten jene dafür Begabte unter einer Generation anstecken, befeuern, sie verfeinern, sie zu weltgewandten, eloquent sich vermittelnden VertreterInnen ihrer Altersgruppe formen. Wenn sie (die Texte) aber die so Angesprochenen nicht mehr erreichen, sterben sie. Und der Tross zieht weiter. Wenn wir Theaterleute mit unseren Inszenierungen den Jungen nur mehr den Staub von den Bücherrücken in die Gesichter blasen, wenden sie sich angeekelt anderen Medien zu. Und davon soll es ja einige mehr geben.
Also müssen wir sie plausibel neu erzählen. Das heißt: sie aufführbar und wieder spielbar machen. Also dramatisch gewendet: sie am Leben erhalten. Denn diese Texte stehen in der Epochen-Trift am Abgrund und in unmittelbarer Gefahr, vor dem Hintergrund des langsamen Dämmerns der bürgerlichen Kultur dahinzuscheiden. Gut – sie stehen noch in den Regalen und erscheinen immer wieder auch in kritischen Reclam-Editionen, aber kennt sie wer noch außerhalb der literarischen Institute? Liest sie noch jemand freiwillig jenseits der Klassenzimmer und Theaterproberäume? Werden ihre Aufführungen gestürmt. Und diskutiert sie wer?
Man könnte jetzt mit den Schultern zucken. Muss ja nicht! Und lasst sie sterben! Selber schuld! Man könnte andererseits sie auch befragen:
„W a s – um alle Welt – habt ihr uns mitzuteilen, uns da noch zu erzählen? Wir versteh’n euch nicht mehr!“– „Dann übersetzt uns! Renoviert uns! Macht uns neu!“ – „Wie bitte was? Euch übersetzen? Ins Chinesische oder …?“ – „Nein, in eure Zeit, Gegebenheiten und Verhältnisse, in euer seltsam uns erscheinendes Bewusstsein!“ – „Langsam! Ihr seid seltsam!“ – „Nein, wir könnten helfen. Übertragt uns doch in eure ach so neue Zeit, die, darin könnt ihr sicher sein, so neu gar nicht mehr ist und es vor allem nicht mehr lange sein wird, ja, wir reden aus Erfahrung“, husten sie mit uns mit belegter Stimme zu. Huch – schon schreibt man Dialoge. Redet mit den Texten. Nähert sich mit Anstandsgestus ihren Urhebern. Übersetzen? Heinrich von Kleist? Das Käthchen von Heilbronn?
Gut, zunächst: Wer war Kleist? Kleist war mit heutigen Augen betrachtet ein genialischer Borderliner. Ein von sich selbst überzeugter und gefährdeter Gefühlsextremist! Ein Typ, der panisch vor der inneren Leere, der Langeweile, der Depression flüchtete in seine äußeren Erregungen. Letztlich ein Mörder aus Motiven romantischer Phantasmen. Und ein Selbstmörder! Was für ein Irrer! Sicher, in gewisser Weise eine Ausnahmeerscheinung, denn die Menschen waren damals auch nicht alle so, und trotzdem war er ein Kind seiner Zeit und ihrem waltenden Geist. Wie darf man sich den vorstellen?
Gefühle, Innerlichkeit, das eigene rätselhafte Ich, das Innere, der Traum, die wilde emblematische Natur. Dies waren die Bezugspunkte und Faszinosa der Romantiker. Die Epoche der Romantik war mit ihren literarischen Vertretern vom grellen Licht der Aufklärung allzu geblendet, die Welt stand plötzlich da – entzaubert. Das Ungeheure der Räume, das Rauschen der unendlichen Zeit, die Gleichgültigkeit der Materie, die anonymen Mechanismen der Gesellschaft. Die aufkommende Industrie mit ihrer Beschleunigung. All dies gab wenig Halt – es konnte einen verzweifeln lassen! Wenn nicht, und dieses „wenn nicht“ war für Romantiker entscheidend, etwas dagegen aufgeboten würde. Und Kleist bot auf, nicht wenig noch dazu: Er schrieb und schrieb sich in einen Rausch der Gefühle, der schauerlichen Begebenheiten, der absurden Angelegenheiten, der rätselhaften Phänomene hinein, hasste aus tiefstem Herzen die napoleonische Besatzung und das Spießertum und fand dabei zu seinem Stil, der zum Schönsten gehört, was je in deutscher Sprache niedergelegt wurde. Alle Großen, die nach ihm kamen, gingen durch seine Schule, Kafka, Mann, Musil, Doderer, Merkel. Er suchte zum einem in der klassischen Geschichte nach seinen Motiven, zum anderen im deutschen Ritterwald. Und dort fand er ein seltsames Blümchen, das „Käthchen von Heilbronn“. Eine Geschichte, in deren Fortgang Cherubine (also höhere Engel) walten, Nebenbuhlerinnen zu technisch aggregierten Monstern stilisiert werden, deutsche Kaiser ex Macchina emergieren, eigene Verfehlungen eingestehen und ein rechtschaffenes Mägdlein emporheben. Ein Wesen, das sich, im Bezug auf die ihm (von den Engeln) geraunten Prophezeiungen, nicht und nicht beirren lässt und konsequent zu Ende denkt und handelt, bis ihr nichts mehr fehlt zum höchsten Glück: die Heirat mit dem ihr vorherbestimmten „Märchenprinz“ samt Erhebung in den Adelstand ganz nebenbei.
Jetzt könnte man natürlich meinen: Das ist üble Propaganda. Kitschig, Christlich. Man könnte ihrem aufgedrehten Lautsprecher Herrn von Kleist demnach den Vorwurf machen (immer vorausgesetzt, man glaubt an Phänomene der Übertragung), er hätte mit dieser Geschichte eine gefährliche Vorstellung in die Köpfe zunächst deutscher Bürgerkinder gepflanzt, und zwar, dass das Beziehungsglück vom Schicksal, respektive vom allwissenden Konzil der höheren Engel abhängt. Könnte man. Tatsächlich glaubt ein erklecklicher Anteil der Bevölkerung an die sogenannte Vorherbestimmung in Sachen „Liebe des Lebens“. Es gibt demnach den Einen/die Eine, der/die den Sinn meines Daseins mir aufschlüsselt, an dessen/deren Seite ein Leben voller Glück, Geborgenheit und Befriedigung gelingt. Alles davor ist Irrtum oder höchstens: Training für den Ernstfall. Alles danach: ein Abgrund von Liebeskummer oder Trauer. Wir lesen Geschichten, Biographien und Romane, welche dieses Bild propagieren, wir träumen, sehnen, wünschen oder schmachten und gehen damit aufgeladen in das Leben. Sind selbst voller Ahnungen, achten jedes Zeichen auf dem Wege, der zum Ziel führt. Führen muss. Das „Käthchen von Heilbronn“ ist, so unsere Behauptung, der geistesgeschichtliche Ausgangspunkt dieser Idee.
So weit, so gut. Die romantische, vom Schicksal induzierte Liebe also. Wie fasst man dieses heiße Eisen an? Wir taten es mit einer Rahmenkonstruktion. Der Zugriff, der hier alles uns näherbringt und erklärlich macht ist: der Traum. Und tatsächlich wird in dem Stück recht viel geträumt oder entlang des nahen drohenden Todes durch Krankheit visioniert und klargesehen. Es wird im Schlaf geredet, Wahrheit vermittelt durch somnambules Gebrabbel. Man wandert zur Nacht. Man ist „doppelt“. Der Handlungsstrang ist so gelesen nur ein Kern, ein Inneres, das eingebettet jedoch in eine Außenhülle von einer übergeordneten Wirklichkeit erzählt. Und die ist alles andere als rosig.
Das Frappierende am Traum ist ja die Tatsache, dass einem darin das eigene Selbst Figuren, Helfer, Lehrer, Fressfeinde, Mörder und erotische Objekte situativ gegenüberstellt, so als ob sie außerhalb von uns tatsächlich existierten. Was sie freilich und offensichtlich nicht tun. Innerhalb des Traumes allerdings sind wir von ihrer Gegenständlichkeit doch meistens heftig überzeugt. „Käthchentraum“ ist also keine Wortschöpfung, die auf einer Speiskarte eines beliebigen Eissalons stehen könnte. Sondern es ist e i n Käthchentraum. Und ein Käthchen. In einem Traum. Wessen? Das wird, obwohl es sich, wenn man das Stück kennt, anbietet, nicht verraten.