Ich, Galileo
- Vorstellungsdauer
- ca. 80 Minuten, keine Pause
Uraufführung
Premiere: Sa. 29. Mai 2021, 19.30
Derniere: Di. 06. Feb. 2024, 20.00
Ausgehend von der Debatte um den „Fall“ Galileo Galilei beleuchtet Gernot Plass in diesem Theaterabend die Frage, wie es Menschen ergeht, die in ihrer abweichenden Kritik an einer vorherrschenden Weltanschauung auf eine Wand der Ablehnung stoßen, und setzt sich mit dem Begriff der Wahrheitsfindung auseinander. Wissenschaftliche Debatte, Minderheitenpositionen, Fairness und Demokratie werden entlang einer historischen Analogie verhandelt.
Über Ich, Galileo
Unsere Gegenwart ist geprägt vom erbitterten Kampf um Welterzählungen – ob auf den Feldern der Geschichte, der Klimaforschung, der Geopolitik oder der Evolution. Oftmals sind diese Erzählungen und Positionen obskur und sehr leicht durch vernünftige Argumentation zu entkräften. In manchen anderen Fällen eröffnen sie aus den gleichen theoretischen Überlegungen eine verbotene, weil von der Meinung der Herrschenden abweichende Ideologiekritik. Die Positionen sind mitunter militant. Man sondert sich in die eigenen Echoräume ab und lässt Anderslautendes nicht mehr zu.
Galileo Galilei ist eine der bekanntesten historischen Figuren, deren Leben vom Streit um das richtige „Weltbild“ geprägt war. Er legte mit seiner Forschungsarbeit den Grundstein für die moderne Physik und Mathematik und riskierte damit sogar sein Leben. Ob die Erde um die Sonne sich drehe oder die Sonne um die Erde, das war gewiss zu seiner Zeit noch nicht wissenschaftlich überprüfbar, ein Gegenstand der Auslegung, welche wiederum radikale Auswirkungen auf die Situation des Menschen und die Machtinteressen der herrschenden Eliten hatte.
Dieser „Fall Galilei“ ist Ausgangspunkt eines Theaterprojekts, der einen Menschen, einen Theoretiker, einen Forscher ins Zentrum rückt, der gegen die herrschende Lehrmeinung recht hat und dessen Überzeugungen ihn nicht nur gesellschaftlich ächten, sondern ihn auch an den Rand seiner Existenz führen. Gernot Plass versucht mit diesem Text, die Problematik zu beleuchten, die heute aufgeklärte und rationale Auseinandersetzung oftmals vergiftet und verunmöglicht. Man ist für freie Meinungsäußerung, solange man die geäußerte Meinung gutheißt. Alles andere ist verdächtig oder einfach nur lächerlich. Aber ist es in einer gesunden demokratischen Öffentlichkeit nicht gerade die kritische Minderheitenmeinung, die, auch wenn sie falsch und abstoßend ist (oder erscheint), ein Recht auf Auseinandersetzung hat?
Team
- Es spielen
- Text
- Regie
- Ausstattung
- Sound
- Dramaturgie
- Regieassistenz
- Kostüm- und Requisitenbetreuung
- Videotechnik
- Lichttechnik
- Bühnentechnik
- Das Bühnenbild basiert auf Entwürfen der Produktion "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" von
- Dr. Plass
- Bernhard Kobler, Renate Vavera
- Peter Hirsch
- Katja Thürriegl
- Hans Egger, Andreas Nehr
Foto-Galerie
Kritiken
Über die Produktion
In einem unbekannten, wilden Land, in dem man sich zu verirren droht, in der Mitte unsres Lebens vielleicht – in einem solchen Land, bedarf es eines Wegbegleiters. In offenen Ebenen, in flachem Gelände, in der klaren Mittagssonne benötigt nur eine einzige Personengruppe Führung: Blinde. „Wer aber Augen hat, körperliche und“ – wie ein italienischer Physiker des frühen siebzehnten Jahrhunderts es so treffend formulierte – auch „geistige, der soll sie sich zum Führer nehmen.“ Ja, der Physik im engen Sinne und im erweiterten Sinne „der Wissenschaft“ ganz allgemein, der sollte man schon folgen, ihr auch vertrauen. Sie ist der rechte Wegbegleiter in der Finsternis. Ihr Signum ist die intellektuelle Redlichkeit. Sie ist eben kein dunkles Dickicht, ausgekleidet mit verworrenen, jargon-geschwängerten Sätzen und sich spießenden Begriffen, unklaren und nicht überprüfbaren Zahlen. Sie ist eine Methode, eine Art und Weise, das Gespräch zu führen, eine Debatte unter Gleichen, unter „Peers“. Und diese „Peers“ sind angehalten, unsere Sätze zu hören, sie zu untersuchen, sie zu kritisieren. Und sie zu verwerfen, wenn sie auch nur im Kleinsten dieser Prüfung nicht standhalten: Stimmt das? Oder ist da etwas unscharf? Könnte es nicht gänzlich anders funktionieren? Haben wir hier ein Detail übersehen?
Wenn wir solche Fragen stellen, wenn wir solche Sätze, die von Wirklichkeit berichten, auf Wahrheit hin überprüfen wollen, dazu Versuchsanordnungen im Feld aufbauen, werden wir zu „Wissenschaftler*innen“. In ihrem Reich sind alle gleich. Wie sonst nur vor dem Gesetz des Rechtsstaates. Ein Bezirk des Lichts. Kein Titel, keine Approbation, kein Privileg ist hier ein Helfer. Wenn wir aber zum Zweck des Anscheins von Autorität, der Ergreifung von Macht, des Erwerbs von Prominenz und Reichtum sie missbrauchen, wird Wissenschaft zu sogenannter Wissenschaft. Eroberungsinstrument, Reichweiten ausdehnende Allüre. Zum Medium, die Wahrheit zu besitzen. Nicht mehr befragbar, nicht mehr kritisierbar, nicht mehr falsifizierbar. Im Gegenteil. Kritik wird dann der schlimmste Feind und dieser ist zu vernichten. Dann wird Wissenschaft zu orakelhafter, totalitärer Religion … Sätze werden als Erlass gesetzt, Gebote und Verbote von oben verordnet im Namen der Wissenschaft. Debatten erstickt. Prophetien vom Berge herab in Tafeln gemeißelt, der Herde als Grenze, Zaun und abgründige Drohung präsentiert. Ein Höllentheater, ein Endzeitgemälde, ein Steuerrad der Angst. Wir kennen Gott sei Dank diese „Wissenschaft“ aus der Geschichte und haben aus ihr gelernt. Das Ptolemäische Weltbild, der Aderlass, die Rassengesetze und, und, und … Trust science, don‘t ask.
Wer aber gegen ein Gesetz, gegen eine Verordnung, ein Dekret aufsteht, wer es kritisiert, wer diesem nicht gehorcht, wer es wagt, auch nur die leiseste Kritik zu äußern, oder eine Studie, die zu anderen Ergebnissen führt, veröffentlicht, wird verhöhnt, diffamiert, weggesperrt vielleicht oder/und verbrannt. Zur Zeit der Gegenreformation sogar tatsächlich. Dies wusste der oben genannte Physiker nur allzu gut und deshalb widerrief er seine von ihm aufgefundenen Beweise, unterwarf sich und ließ sich in seinen „Lockdown“ (Entschuldigung!) einsperren.
Der hier konzipierte Theaterabend ist eine Reise in diese Finsternis. Ein Wegbegleiter vielleicht. Gernot Plass ist ein trauriger Dionysiker und auch natürlich, wie so viele, eitel. Im Grunde aber hat er keine Ahnung von nichts. Woher auch? Außer vielleicht von Auftritten und Abgängen. Was, wann, wer und zu welchem Ziele auftritt und erscheint, beurteilt Plass nach den Kriterien des Theaters. Und das Theater bedeutet ihm die Welt. Eine vielleicht aussterbende Sichtweise. Oder auch nicht. Wer weiß das schon? Der Text, das Projekt, der Abend ist ihm und hoffentlich auch Ihnen, liebes Publikum, nichts anders als ein Gerät, ein Instrument zur Verbesserung der Sicht, ein Tele-, Mikro- oder Mundoskop. In jedem Fall ein Wegbegleiter. Trauen Sie ihm aber nicht.
Gernot Plass
Künstlerischer Geschäftsführer des TAG