Heinrich 5
Frei nach William Shakespeare
- Vorstellungsdauer
- ca. 100 Minuten, keine Pause
Uraufführung
Premiere: Mi. 25. Okt. 2023, 20.00
Was veranlasst einen Staat seinen Nachbarn zu überfallen? Welche Interessen treiben den Krieg? Welche Narrative setzen sich durch? Diese heißen Eisen fasst Gernot Plass mit seiner neuesten Shakespeare-Überschreibung an und kühlt sie an unserer heutigen Situation ab. Nicht weniger als der Höhepunkt der Königsdramen und endlich wieder ein Plass im TAG!
Über Heinrich 5
"Großartig. (...) Der Text und die Inszenierung sind rasant und auch ziemlich witzig, Raphael Nicholas ist ein hervorragender Heinrich, das übrige Ensemble wechselt im Höchsttempo die Rollen und schlägt sich dabei ausgezeichnet." Kurier
"Schwungvolles, hoch aktuelles Historiendrama (…) Wen soll man loben bei dieser tollen Show? Alle. Den Regisseur für sein Einfühlungsvermögen, Alexandra Burgstaller für die trefflich simple Ausstattung und Peter Hirsch für die Videos. Nicholas ist als König hundsgemein attraktiv. Seine Mitspieler vermögen es, blitzschnell vom höfischen ins tragikomische Fach und wieder retour zu wechseln. Kurz: Fantastisch." Die Presse
Der Krieg: der „Vater aller Dinge“. Die ur-dramatische Handlung. Die dunkle Quelle aller gesellschaftlichen und politischen Veränderung. Krieg wird verherrlicht und verteufelt. Immer aber muss er verarbeitet werden.
Shakespeare hat innerhalb seiner Königsdramen den Krieg nur einmal hochleben lassen, seine sonst so bewundernswerte „neutrale“ Position verlassen und aus der Sicht des Engländers eine dramatische Erzählung rund um den jung verstorbenen Lancaster-König Henry V gesponnen. Die Lichtgestalt. Der gerechte König, über dem der Kriegsgott sein Füllhorn des Erfolges ausleert. Heinrich V – bis heute eines seiner erfolgreichsten Stücke. Man könnte es mit modernen Begriffen als ein „Propaganda-Narrativ“ lesen, das von Englands Größe und Kampfkraft, vor allem aber auch vom kleinen proletarischen Kriegsmann erzählt, der beseelt in der Schlachtenreihe neben einem charismatischen, ihn als „Bruder“ anredenden Staatsoberhaupt zur Höchstleistung sich aufrafft.
Was veranlasst einen Staat seinen Nachbarn zu überfallen? Welche Interessen treiben den Krieg? Innere Spannungen? Gier? Großmacht-Phantasien? Dieses heiße Eisen fassen wir im TAG an und versuchen, es mittels der gewieften Überschreibung neu einzuordnen und abzukühlen an unserer heutigen Situation. Gernot Plass nimmt den Faden, den er mit RICHARD 2 begonnen und mit HEINRICH 4 weitergesponnen hat, wieder auf und versucht aus (leider) gegebenen Anlass den dritten Akt der großen shakespeareschen Königsdramen zu seinem befragenswerten Ende zu führen.
Team
- Es spielen
- Text
- Regie
- Ausstattung
- Sound
- Dramaturgie
- Licht
- Video
- Regieassistenz
- Regiehospitanz
- Kostüm- und Requisitenbetreuung
- Tontechnik
- Bühnentechnik
- Dr. Plass
- Katja Thürriegl
- Peter Hirsch
- Frederic Ostrowski, Luca Pümpel
- Peter Hirsch
- Manuel Sandheim, Andreas Wiesbauer
Foto-Galerie
Kritiken
Über die Produktion
Kategorisiert man Theater nach den strengen Einteilungen des alten Aristoteles, dann sehen Sie, liebes Publikum, heute Abend definitiv: eine Komödie. – Das Ding geht gut aus. Der Tod ist scheinbar eine weit entfernte Kategorie, mit der sich Nebenfiguren zu plagen haben ... Es geht um Ehre, Eroberungen, Abhärtung, Wettkampf, ja zu allem Überfluss wird am Schluss auch noch geheiratet und Erbschaften werden verteilt. Eine richtige Cowboy-Yippieyeh!
Shakespeare mochte alle seine Theaterkönige. Er stattete sie mit großer Liebe zum Detail und zur charakterlichen Ambivalenz aus. Sie alle haben ihre Fehler, ihre Schwächen, ihre schillernde eigene Größe. Sie alle sind Menschen. Und ihr Schicksal bleibt ihnen allen nicht erspart. Ihre Kronen werden ihnen abgenommen und sie landen zwischen den Buchdeckeln. Alle. – Alle?
Einer geriet Shakespeare unter der Hand zu einem eindeutigen sympathisch-monströsen Gewinner. Gewinner-Monster. Seine dichterische Darstellung, seine psychologisch-charakterliche Ausstattung hat keine Flecken. Und seine Fernwirkung strahlt weit über die Jahrhunderte bis in den heutigen imperialen Vollzug auf den Weltmeeren. HEINRICH V. Nichts, das ihm nicht gelang. Nichts, das ihm nicht zustand. Nichts, das er sich nicht holte, wenn er es wollte.
Doch Vorsicht! Bevor man jetzt gleich die Befürchtung hegt, dass sich die Langeweile bei der Anschauung seines Vorgangs einstellt, sei der bescheidene Hinweis erlaubt, dass eben sein Theaterstück eines der wirkungsvollsten und somit auch folgenreichsten der Weltgeschichte ist. Nebenbei sei noch erwähnt, dass es auf der Insel, hört man auf die dortigen Theaterauskenner*innen, noch beliebter sei als der „Hamlet“. Warum ist dem so?
Wir alle haben unsere nationalen Mythen. Unsere heimatlichen Heldengeschichten. Ja, auch wir Österreicher*innen spielten in Cordoba Fußball. Wir allen waren mal eine Bande von Brüdern und Schwestern – und was waren wir nicht glücklich! Wir wenigen, wir glücklich wenigen. „Einmal noch hinauf zur Bresche!“ Brothers in arms. Wir überwanden die „dire straits“ und die das-Böse-wollenden Übermächte.
Wir waren dabei, wir überwinterten in Rebellen-Basen auf entfernten Planeten, und wenn das Imperium zurückschlug, wuchs uns von irgendwoher das Rettende auch.
Wir leben in Geschichten oder modern gesprochen: in Narrativen oder nicht mehr so ganz modern gesprochen: in Propaganda-Erzählungen. Sie begrenzen unsere Vorstellungen, sie richten unsere Identitäten zu, ja wir sind zu einem guten Teil gemacht aus diesem mythischen Werkstoff. Dahinter aber, man ahnt es dunkel, geht vonstatten, was die Nüchternen unter uns die „Realität“ nennen.
Kinetisch vermittelte Übergriffe auf Gebietskörper nennt man je nach der aktuellen Lesart: Annektierungen, Sezessionen, vorauseilende Verteidigung, Überfälle, Verbrechen, Befreiung, Demokratiegeschenke oder einfach Kriege. Und man ordnet ihnen Eigenschaftswörter zu wie gerecht, ungerecht, illegal, imperial, un-provoziert usw. Man bleibt bei diesem Thema selten kühl und distanziert, man bezieht da meistens Stellung. Manch eine*r geht auch in die metaphorischen wie auch tatsächlichen Schützengräben.
Sieht man mal von der globalen Warenproduktion ab, wird nichts so beworben und mit Wert angereichert wie das Unternehmen Krieg. Dem Nationalprodukt geht zumeist ein „Nationaldestrukt“ voraus und – das ist die schlechte Nachricht – folgt ihm zumeist auch hinterher im scheinbar ewigen Rhythmus.
Es wird der Aufbau hergestellt sowie der Abriss. Produktive Zerstörung als ein Prinzip nicht nur (schumpeterischer) Ökonomie, sondern auch der staatenbildenden Weltgeschichte. Poetisch-philosophisch überhöht als „der Vater aller Dinge“. Auch das muss beworben werden. Auch dafür braucht es mediale Betreuung.
Shakespeare liefert sie. Und liefert darin (wie immer) ein Meisterstück. Hätte er nicht die Feder ergriffen und ein mittleres Gemetzel im verregneten Nordfrankreich vor über sechshundert Jahren dermaßen überhöht, wir lebten heute, glauben Sie mir, in einer anderen Welt. Dem ist aus heutiger Sicht und moderner Vernunft etwas hinzuzufügen. Es muss, wie alles, überschrieben und verrückt werden: Zu Recht. Oder zu Unrecht?
Wir rücken jetzt mal: in anderes Licht, in andere Zeit, in andere mediale Voraussetzungen. Ähnlichkeiten mit und Querverweise auf heutige geopolitische Affären sind beabsichtigt und leider nicht zufällig.
Shakespeare ist uns schließlich in diesem Fall noch eine Tragödie schuldig. Viele schöne Fragen bleiben offen. Man möge sie sich und anderen stellen. Viel Vergnügen.
Gernot Plass
Künstlerischer Leiter des TAG