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Faust-Theater

Von Gernot Plass

Frei nach „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe

Vorstellungsdauer
ca. 150 Minuten, inkl. einer Pause

Uraufführung

Premiere: Mi. 21. Jän. 2015, 20.00

Über Faust-Theater

„Verdammt! Wieso bin ich geschlagen mit IQ?“



Das TAG wagte mit der Uraufführung FAUST-THEATER wieder einmal den risikofreudigen Versuch, auf einen berühmten, fast schon heiligen Text zu antworten. Und dieser Versuch ging voll auf: Wegen des überwältigenden Erfolgs startet die Produktion nun in ihre zweite Spielzeit.



Den „Faust“ zu überschreiben, gleicht einer Kletterpartie im Hochgebirge. Die Herausforderung entwickelt sich in der dünnen Luft der Metaphysik dieses Stückes. Seine Form, seine Sprache, sein Aufbau: all das ist anders zusammengesetzt als die Hervorbringungen der Moderne. Seine Figuren agieren aus anderen Motiven. Gehorchen anderen Gesetzlichkeiten. Ihre Gefühlswelt – schwierig nachvollziehbar. Wieso will Gretchen noch mal in den Tod? Warum mordet sie ihr Kind? Welche Mittel ergreift Faust in seiner dunkelsten Verzweiflung? Wer ist oder was repräsentiert Mephisto? Den Teufel? Das Böse? Und was hat das alles noch mit uns zu tun?



Gernot Plass schreibt Goethes Text in die Moderne hinüber und liefert seinen Vorschlag zu einem theatralen Umsetzungs- und Deutungsrätsel. Rasant, humorvoll, sprachakrobatisch, geistreich, zeitgeistig und bildgewaltig wird die Beweisführung in Angriff genommen, dass uns die alten Stoffe immer noch berühren und betreffen können, wenn man sie überzeugend ins Heute holt. Das Risiko liegt dabei aber sicher nicht beim Publikum, das sich auf einen Heidenspaß mit teuflischen Erkenntnissen freuen kann.

Team

Es spielen
Text
Gernot Plass
Regie
Gernot Plass
Ausstattung
Alexandra Burgstaller
Musik
Dr. Plass
Licht
Hans Egger
Video
Peter Hirsch
Regieassistenz
Renate Vavera
Regiehospitanz
Alexander Gahr
Ausstattungsassistenz
Lydia Sciri
Kostüm-, Requisiten- und Fundusbetreuung
Daniela Zivic
Technik
Frank Fetzer, Andreas Nehr

Foto-Galerie

Über die Produktion

Um es gleich vorwegzunehmen und um Missverständnisse zu vermeiden: Der Stücktext FAUST-THEATER ist – sowie alle anderen Bearbeitungen davor (sei es Shakespeare, Schiller, Kafka usw.) – nicht gemeint als Umschreibung des großen Ausgangstextes. Dieser bleibt von der Übung völlig unberührt und dient nur als Bezugspunkt. Diese entscheidende Distinktion ist auch immer im veränderten Titel kenntlich gemacht. Hier wird nichts „verschandelt“, umgeschrieben oder zerstört. Das wäre in diesem Stück, wie auch den anderen, hochgradig lächerlich und so auch nicht möglich. Der Text versteht sich aber auch nicht als Parodie, sondern stellt – wieder einmal – den Versuch dar, ein Umsetzungs- und Deutungsrätsel auf eine andere Art zu lösen als bisher. Nicht über den Hebel der Interpretation und Inszenierung. Die Intention den Ausgangstext zu zerstören und frech sich an seine Stelle zu setzen, war hier nicht anleitend. Es ist vielmehr eine wenn auch etwas andere „Verneigung“.

Warum?

Ein Text wie „Faust“ hat für uns Heutige einen seltsamen Klang. Seine Form, seine Sprache, sein Aufbau: all das ist anders zusammengesetzt als die Hervorbringungen der Moderne. Seine Figuren agieren aus anderen Motiven. Gehorchen anderen Gesetzlichkeiten. Ihre Gefühlswelt – schwierig nachvollziehbar. Ihre ausgedrückte Innerlichkeit klingt nach Pathos, Kitsch und Umständlichkeit. Und wo diese Kräfte walten ist die Hohlheit schnell zugegen.

Also hält man solch einen Text verschlossen und nimmt ihn nur an hohen Feiertagen heraus und „zeigt“ ihn dem Volk. Drapiert im neuen Regie-Kleid, das viele sogleich befremdet, erinnern sie sich doch noch an ihre Erinnerungen. Was sie aber tatsächlich befremdet, bleibt zumeist im Dunkel.

Erklärungsversuch

Während ein heiliger Text in den kollektiven Abstellkammern ruht, dreht sich die Welt weiter, passieren Revolutionen in der Geschichte, der Politik, der Sprache. Gott stirbt oder wird für tot erklärt, Kriege ziehen über Kontinente, Massengesellschaften emergieren, Vernichtungslager werden in Dienst gestellt, Atombomben gezündet. Neue Medien kriechen in die Köpfe. Kurz: frühere „naive“ Haltungen werden aus ihrer Reserve gezwungen und als das befunden was sie sind. Bist Du nicht von der Zeitgeistfront verstehst Du vom Aufführungstext nichts mehr. Oder du verstehst ausschließlich den Text und alles andere nicht mehr. Auch nicht lustig.

Im Zusammenhang mit dem Faust hat die sogenannte „Katastrophe der Metaphysik“ im 20. Jahrhundert gründlich aufgeräumt in den „aufgeklärten“ Köpfen. Die Aufklärung selbst ist an Grenzen gestoßen, und ist sich ihrer eigenen „Dialektik“ schmerzlich bewusst geworden.

Die in Wellen sich über die letzten Jahrhunderte ergießenden geistigen Revolutionen haben ihre Brachen hinterlassen. Die Welt von damals ist nicht mehr. Unmerklich und stetig haben sie ihre destruktiven Wirkungen auf die geistigen Hervorbringungen früherer Epochen entfaltet. Und nicht nur das. Mit der zunehmenden Beschleunigung kamen auch immer mehr die eigenen ideologische Beiträge unter die Räder. Mit anderen Worten: Nicht nur die Väter wurden von den Revolutionen gemordet, sondern auch die Kinder gefressen.

Vor unserem ungeduldig neu kalibrierten Verständnis ist dieser Text aber keine sich selbst tragende Konstruktion mehr. Gemacht für eine andere Welt. In unserer – höchstens freigegeben zur Bewunderung vor der Sprachmächtigkeit und dem Fleiß seines Verfassers. Ein wundersames Wesen, schön, aber nicht mehr relevant in und für unsere Lebenswirklichkeit. Wieso will Gretchen noch mal in den Tod? Warum mordet sie ihr Kind? Welche Mittel ergreift Faust in seiner dunkelsten Verzweiflung?
Wer ist – oder was repräsentiert Mephisto? Der Teufel? Das Böse? Im Einklang oder im Kontrast zu Auschwitz? Ach herrje. Kann man das alles sich heute noch ansehen, ohne das andere mitzudenken? Und wenn man es mitdenkt – verdirbt man sich da nicht den Theatergenuss?

Wenn die christliche oder jüdische Glaubensprämisse als erlebte Wirklichkeit entfällt, und sie entfällt zumeist, bleibt der Text nur auf der Ebene des Mythos und der großen Metapher Allgemeingut. Auf der Ebene der Moral und der Psychologie ist er Schutt und Asche. Teufelspakt? Was heißt das noch?

Selbst Goethe, der sich selbst nicht mehr als Christ bezeichnete, und Zeit seines Leben einem „Pantheismus“ anhing – einem am Platonismus angelehnten, aber außerhalb der esoterischen Zirkel heutzutage völlig versunkenen Weltbild, das die Kräfte der Natur beseelt sieht mit einheitlicher geistiger Präsenz, Entitäten und Geistern – hatte in der zweiten Überarbeitungsphase sichtlich und zunehmend Schwierigkeiten, einen Beelzebub aus einem mittelalterlichen Revanche-Drama zu vertreten. Sein genialer Sturm-und-Drang-Entwurf eines Faust-Stücks, das ihm die lebendigsten und theatertauglichsten Teile der Tragödie lieferte, ist ja im Grunde ein verkapptes bürgerliches Trauerspiel, mit einzig dem Unterschied, dass auf der Position des exploitierenden Fürsten ein metaphysisch bevorteilter Lüstling das arme Mädchen verführt. Aber der Teufelspakt? Der – wie noch bei Marlowe – den erkenntnissuchenden, forschenden Geist mit Höllenqualen bedroht, und letztlich auch traktiert?

Da musste er nachbessern und stieß zufällig auf den Hiob: Die Wette Gottes mit Satan um den einen Menschen, die eine Seele. Hier hatte er eine kosmische Arena, über der die Sonne noch „nach alter Weise“ tönt. Eine Konstruktion, die ihm die Handlung ganz anders aufspannte. Vor diesem Hintergrund konnte eine Teufelsfigur, die von sich selbst sagt, „Teil des Teils“ zu sein, wieder glaubhaft auftreten. Er setzte dem Drama einen Prolog im Himmel vor.

Doch flog die Zeit dem Weimarer Regierungsrat um die Ohren. In Paris wurde ein König enthauptet. Ein sich selbstermächtigter, ermächtigender Kaiser, bewaffnet mit dem Code civil, trampelte quer durch Europa. Und alles, was vor dem noch galt, ward brüchig. Die Zeit und mit ihr deren Geist zerrann ihm zwischen den Fingern. Also nochmal! Wieder eine Idee: Ein Vorspiel. Dem Prolog im Himmel vorangesetzt. Diesmal am Theater. Der alte augenzwinkernde Trick: Dies ist eine gute Story fürs Theater! Nicht ganz ernst zu nehmen. Ja – es treten Geister auf, es waltet Magie, ein Teufel hat darin seine Rolle – doch ist hier alles Spiel, nicht Spiegel. Und er erfand einen herrlichen Trialog der emblematischen Theatermacher über die quälend industriellen Herausforderungen ihrer Zunft. Und zu guter Letzt noch eine „Zueignung“, die das Ganze als eine Grille eine fernen Jugendzeit kokett abtut. Vor dem Vorspiel, dem Prolog. Hier wird aber alles penibel eingeordnet. Keine Sorge, ihr Aufgeklärten!

Was aber tun mit einem solchen Text heute?

Denkt man über seine Umsetzung auf der Bühne nach, stößt man unweigerlich auf Widersprüche, die sich nicht auflösen lassen. Man blickt auf das Material trotz der gebauten Brücken über einen riesigen Graben hinweg.

Man kann ihn aufführen. Natürlich. Man kann sogar versuchen, ihn zu inszenieren – wird ja auch überall gemacht. Führt man aber auf oder inszeniert man, bleibt einem keine andere Position, als die eines Museums-Kustos.

Der ästhetische Genuss? Ein Argument. Händels „Messias“ ist ja auch – usw. Ein Burgschauspieler im Logenrund, ein Faust! Berufener Mund, Klang. Das hat schon was. Vor allem der Faust! Überbordend von Witz, genialen Einfällen, Tiefsinn und vor allem herrlich endgereimten Zitaten, die längst Kalenderspruchstatus aufweisen. Aber irgendetwas stimmt nicht mehr …

Das was hier vorliegt, ist ein Versuch, wahrscheinlich das Scheitern eines Versuchs, auf einen Text zu antworten, der klassisch, heilig, naiv, großartig, witzig und über 200 Jahre alt ist. Den Faust zu überschreiben birgt eine Herausforderung, die man als „metaphysisch“ bezeichnen könnte, da man sich an seiner inhärenten Metaphysik abarbeiten muss. Bietet man eine neue Metaphysik an? Es soll ja nicht nur Sprachspiel bleiben. Riskiert man damit die Preisgabe eigener Naivität? Man kann diesen Text nicht dekonstruieren, denn dann zerfällt er. Nimmt man seine Figuren und verfrachtet sie in ein völlig neues Stück? Dies wurde auch schon erfolgreich versucht, ist aber hier nicht die selbstgestellte Aufgabe.

Dies ist kein neues Stück. Oh nein. Es ist das alte. Es ist ein neuer Dialog, der sich über das alte Stück legt wie eine dünne Folie und es zärtlich verrückt. Neuland? Eher Küstenschifffahrt um einen Kontinent. Mal wagt man sich mehr dann wieder weniger mutig in tiefere Gewässer, umfährt seine schwierig zunehmenden Kaps.

Kein neuer Faust also. Was dann? Ein strebendes Bemühen – mehr oder weniger gelungen –, einen traditionellen Text mit all seinen geistigen und weltanschaulichen Hintergründen in die Moderne hinüberzuschreiben, ein für das Publikum hoffentlich interessantes Vergleichs-Ergebnis hervorzubringen. „Das Unzulängliche / hier wird´s Ereignis / das Unbeschreibliche / hier wird’s getan“

Rein technisch setzt man an den Goetheschen Hebeln an. Wird derb und deftig im Drama, im Rahmen aber setzt man die entscheidenden Akzente. Kurz gesagt: Man macht es mit dem Vorspiel. „Fausttheater“ eben.

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