Die Inseln des Dr. Moreau
Sehr frei nach H.G. Wells
Eine Koproduktion mit The Practical Mystery
- Vorstellungsdauer
- ca. 100 Minuten, keine Pause
Uraufführung
Premiere: Mi. 02. Nov. 2016, 20.00
Über Die Inseln des Dr. Moreau
Der Text Mattuschkas ist ein schillerndes Vexierspiel auf verschiedenen Zeit- und Erzählebenen. Die Titelfigur des Romans kämpft gegen ihre eigene, von Wells erdachte phantastische Geschichte und sucht in einer Reihe aberwitziger Szenen die RegisseurInnen, HauptdarstellerInnen und FilmproduzentInnen der erfolglosen Verfilmungen des Stoffes heim. Timothy Leary, Marlon Brando, Stalin, der Geist von H.G. Wells sind nur einige der Referenzen, die in Mara Mattuschkas Fassung verknüpft werden zu einer psychedelischen Reise eines als monstermachenden Verlierers Gebrandmarkten durch die Entstehungsgeschichte seines eigenen Mythos. Der immer schon faszinierenden Idee des transhumanen Experiments und der ultimativen Beschleunigung evolutionärer Entstehungen wird hier – mit Augenzwinkern – eine Bühne geboten. Eine Kambrische Explosion der Unarten!
Team
- Es spielen
- Alexander Braunshör
- Johanna Orsini
- Julia Schranz
- Text
- Konzept
- Regie
- Bühnenbild
- Kostüm
- Sound
- Dramaturgie
- Recherche
- Lichtdesign
- Video
- Regieassistenz
- Kostüm-, Requisiten- und Fundusbetreuung
- Tontechnik
- Mara Mattuschka
- Alexander Braunshör, Alexander Martos, Mara Mattuschka
- Mara Mattuschka
- Paul Horn
- Andrea Bernd
- Moritz Wallmüller
- Alexander Martos
- Alexander Braunshör, Alexander Martos, Mara Mattuschka
- Dominik Danner, Hans Egger
- Sepp Nermuth
- Sandra Moser
- Peter Hirsch
Foto-Galerie
Über die Produktion
Was ist der Mensch – und wie soll das mit dem Menschen weitergehen?
Man denke einmal nur in evolutionsrelevanten Zeiträumen. Ein Gedankenexperiment: Die Vorstellung eines zukünftigen, wahrscheinlich morphologisch kindhaften, unbehaarten Menschen, mit Riesenkopf, massiven subkutanen Fettschichten und unterentwickelten Gliedmaßen – den Daumen vielleicht ausgenommen. Das moderne Smartphone denke man als ein Transmissions- und Rückkopplungs-Instrument, mit dessen Hilfe Menschen sich über Generationen in homini sapiens iphoni weiterentwickeln. Weit hergeholt? Nun ja – ein Gedankenexperiment.
Der bekennende Sozialist und Lamarckist H.G. Wells formulierte sich mit Hilfe seiner utopischen Romane derlei Experimente literarisch aus und gelangte an deren Ausgang ernüchtert zu dem Schluss, dass die Menschheits-Optimierung mit den Mitteln der Biologie – also der Züchtung und Zurichtung der Organismen – in die faschistische Sackgasse führe. „Die Insel des Dr. Moreau“ variierte das Thema anhand der Kunst der Vivisektion: einer chirurgisch-plastischen Veränderung am lebenden Körper. Und all dies lange vor den biologistischen Züchtungsprojekten der Real-Faschismen. Vom Naziprojekt „Lebensborn“ hat man vielleicht gehört – dass aber die Bolschewisten noch einen Schritt weitergingen, biologische Geheimexperimente durchführten, ist weitgehend unbekannt. Durch die Kreuzung von Affen und Menschen wollte man tatsächlich Hybride erzeugen. Ein Plan, der dem Arbeiter- und Bauernstaat willfährige Soldaten und niedere sklavenähnliche Ausbeutungsobjekte zuführen sollte. Stalin im Übrigen empfing Wells als Präsident des PEN-Clubs.
Der Menschheitstraum – den Menschen zu überwinden, zum Über-Menschlichen, Nach-Menschlichen, zum Transhumanen ihn zu bilden –, eine Abkürzung, gleichsam ein Wurmloch zu entdecken, durch das wir unerwartet zehn Schritte in der Evolution vorauszueilen imstande sind – er ist fast so alt wie jener vom Fliegen. Eingesperrt sind wir im Käfig unserer chromosomatischen Situation, einen Ausgang daraus, eine Öffnung zu entdecken, ist uns (Gott sei Dank) noch immer nicht gelungen.
Der vorliegende Text ist eine kühne Spekulation. Er versucht die Frage nach dem Scheitern eines Erzähl-Stoffes seitwärts und abseits der Reihe seiner mehr oder weniger misslungenen filmischen Weitererzählungen und Überschreibungen zu beantworten. „Moreau“ machte nicht eine vergleichbare populär-kulturelle Karriere wie etwa die „Zeitmaschine“ oder die Erzählungen des Franzosen Jules Verne. Marlon Brando, Charles Laughton, große Namen, versuchten sich in diversen in Vergessenheit geratenen Machwerken in der Darstellung des genialen Doktors. Aber alle filmischen Umsetzungen verfingen nicht beim Publikum.
Das Ziel des Theater-Textes nun ist es, die öffentliche Verlaufsform jener Utopie zu beschreiben. Anvisiert wird es durch erratische Dialog-Szenen und in reigenhafter Dramaturgie. Die Daseinsebenen verschmelzen darin, literarische Figuren verhandeln nicht nur mit dem Geist ihres Erfinders, sondern auch mit den DarstellerInnen ihrer filmischen Weitererzählungen, die wiederum mit historischen Menschheits-Experimentatoren in Kontakt treten. All diese Schlaglichter und insularen Abschnitte des Textes bilden – so die Unterstellung – den Gedanken- und Assoziationsstrom seiner Schöpferin nach.
Mara Mattuschka ist ein verspieltes und verträumtes Kind mit dem Horizont einer Kulturhistorikerin. Wenn sie Texte liest, egal ob von H.G. Wells oder Platon, dann geschieht dies in einem Modus der kompletten Einfühlung und Begeisterung und des Eintauchens, gleichzeitig aber vor dem Hintergrund ihrer stets in die Rechnung aufgenommenen Historizität. Der berühmte doppelte Blick ist der Cineastin und Filmemacherin zu eigen. Eine seltene und ständig zu trainierende Fertigkeit. Wenn Mattuschka schafft, denkt, schreibt und inszeniert, dann entstehen vor ihrer reflektierten Luzidität nicht nur Texte, Filme oder Aufführungen, sondern immer „Skulpturen“, so Mattuschka. Dieses Bild dankt sie einem konstruktiven Schaffensprozess, des spiralförmigen Umkreisens eines Werkes, der ihr das ständige „An-kleben“, „Zurück-nähen“ und rekursive Aufnehmen der Themen ermöglicht. Ein akribisch sich wiederholender Vorgang, von dem Mara Mattuschka erst zurücktritt und sich zufrieden gibt, bis die Textur vor Differenziertheit nur so schillert.
Was also ist der Mensch? Wir wissen es nicht.
Aristoteles definierte ihn als federloses, zweibeiniges Tier. Der menschliche Unterbau, marxistisch formuliert: seine „Basis“ ist und bleibt der interessengetriebene Affe. Hier lässt die im Realsozialismus aufgewachsene Künstlerin auch keine falsche Romantik aufkommen. Ihr da zu widersprechen, fehlt es einem leider immer noch an letztgültiger Evidenz. Am ehesten ist es Mara Mattuschkas hinreißender Charme selbst, der diese Vorstellung unterläuft, in dem Moment, da sie verschmitzt ihren Text und seine Aufführung als „eine Utopie-Untersuchung unter Berücksichtig-ung eklatanter menschlicher Schwächen“ bezeichnet.
Das Tier in uns also – es lebt auf jener dunklen Insel unseres Innen-Meers, die mit dem Euphemismus „Unterbewusstsein“ zu bezeichnen wir uns beruhigen. Auf diese Insel reisen wir psycho-nautisch, in unseren Träumen, Räuschen und Familienaufstellungen. Wehe, wir erleiden dabei Schiffbruch und erreichen als Gestrandete die Gestade jenes Archipels. Dann sehen wir dem Tier nackt und ungeschützt ins Auge.
DIE INSELN DES DR. MOREAU ist eine wiederaufgenommene Reise. Erstmals unternommen hat sie H.G. Wells. Nachreisende sind dazu herzlich eingeladen. Faszinierend, irisierend und in jedem Fall:
Ein kluger Spaß.
Gernot Plass
(Künstlerischer Leiter des TAG)