Medea
Ich, ich, ich, ich!
Sehr frei nach "Medea" von Euripides
- Vorstellungsdauer
- ca. 95 Minuten, keine Pause
Uraufführung
Premiere: Sa. 30. Nov. 2019, 20.00
Jetzt kostenlos streamen: stage-plus-art.com/medea
Über Medea
Wegen des großen Erfolgs wieder im Programm: der uralte und weltberühmte Mythos von der kindermordenden Barbaren-Prinzessin, von Gernot Plass für das TAG in eine aufregende Neufassung verpackt und in die Gegenwart verfrachtet.
Medea, die Entführte, Liebende, Betrogene und in die Verbannung Gestoßene, begibt sich auch bei Plass auf den blutigen Weg hin zu ihrer Rache. Themen der Kolonialisierung, der Ausbeutung, des Rassismus, unseres Umgangs mit dem Fremden bis hin zu Außenhandelsverträgen mit Entwicklungsländern klingen an. Aufbereitet in brutalen Konfliktdialogen entfaltet sich eine vielschichtige Handlung mit neuen Wendungen zu einem schauerlichen Vergnügen. Traditionell umrahmt immer noch von einem attischen Chor, dessen Bühnenkraft und epische Funktion genutzt wird, um das Geschehen zu kommentieren.
Gernot Plass erfindet einerseits einen völlig neuen Plot. Zum anderen startet er aber auch den Versuch, mit den Augen der tragisch gestimmten Griechen auf das verlöschende Feuer unserer Beziehungen, Ehen und Abschnittspartnerschaften der Jetztzeit zu blicken. Ein Rätsel, unbegreifbar, der Zerstörung anheimgegeben. Blut fließt. Götter werden angerufen. Leid und Gewalt reichen sich unter den Schreien des Entsetzens die Hand.
Ein Muss für alle, die den jahrtausendealten Kampf der Geschlechter auf den Feldern der Treue, der sexuellen Begierden, der Wünsche, Sehnsüchte und des Betrugs in den berühmten Szenen einer Ehe erneut und erneuert erleben wollen.
Team
- Es spielen
- Text
- Regie
- Ausstattung
- Musik
- Maske
- Regieassistenz
- Regiehospitanz
- Kostüm- und Requisitenbetreuung
- Tontechnik
- Lichttechnik
- Bühnentechnik
- Dr. Plass
- Alexander Schlögl
- Peter Hirsch
- Hans Egger, Katja Thürriegl
- Andreas Nehr
Foto-Galerie
Kritiken
Über die Produktion
Am Anfang war der Mythos …
Medea, Jason, Kreon und Kreusa: Frau, Mann, Tochter, Vater. Diese Figuren, Paare, Namen und Funktionen sind eingeschrieben in unser tieferes Gedächtnis. Nicht nur, weil sie die ProtagonistInnen einer aus der Kindheit der Polis, der archaischen Vorzeit bekannten Erzählung, auch einer Tragödie sind, welche über die Jahrtausende sich erhielt und mit Schauer weitererzählt und immer wieder aufgeführt wurde, sondern weil wir selbst Anteil haben an einem tiefgründigen epischen Zusammenhang, der uns seelisch konstituiert und den wir "Mythos" nennen.
Ja – wir selbst oder ein archetypischer Anteil unseres Daseins räsoniert mit jener Wahrheit, die der Mythos für sich beansprucht und behauptet. Auch wenn wir davor zurückschrecken, unser oberes Bewusstsein sich dagegen wehrt und wir es nach all unseren vernunftbegründeten und moralischen Imperativen vielleicht ablehnen:
Ein Mann betrügt seine Frau – na gut. Verlässt seine Kinder – kommt vor. Wegen einer Jüngeren – typisch. Dies gefällt der Hintergangenen nicht – logisch. Worauf sie weggewiesen oder (gängigerer Begriff) "abgeschoben" wird – nicht schön. Danach sie wiederum die jüngere Konkurrentin und deren Vater mordet – abstoßend, jedoch nachvollziehbar. Doch dem nicht genug, sie hingeht und seine, also auch ihre Kinder, ihre eigenen Kinder tötet, um ihn zu treffen, zu vernichten, zu zerstören, ihn in seinem Elend zu zertreten. Das ist unerträglich. Das ist nicht nur unzivilisiert und barbarisch, das ist unmenschlich!
Ist es das wirklich?
Entsetzlich provokante Frage. Man halte sie aus. Ist dies unmenschlich? Oder ist dies innerhalb des menschlichen Verhaltensspektrums – wenn auch an seinem äußersten Rande – vorstellbar? Wie kann eine Mutter nur ihre eigenen Kinder …?
"Der Mann fürchte sich vor dem Weibe, wenn es hasst: Denn der Mann ist im Grunde der Seele nur böse, das Weib aber ist dort schlecht."
Nietzsches gefährliches Wort aus dem "Zarathustra" im Kapitel "Von alten und jungen Weiblein" ist nicht salonfähig (schon gar nicht in den korrekten modernen Diskursen), aber vielleicht bedenkenswert. Ist der Grund oder besser der Abgrund der Seele in eine weibliche und eine männliche Hölle unterteilt? Ist Jason böse? Medea schlecht? Jason ist erbärmlich und – ja auch – bedauernswert. Ein Abenteurer, Muskelprotz, den es durch die "schwarzen Wunderfelsen" des Bosporus’ in ein anderes Meer verschlägt, an dessen Küsten das reiche, barbarische Kolchis ihm eine nützliche und noch dazu erotisch begehrenswerte Beute beschert: Ein Prinzessin, die ihm und für ihn die Schmutzarbeit erledigt, die er mitnimmt, die ihn befriedigt, die er schwängert und die er bei nächster Gelegenheit aus karrieristischen Überlegungen und anders gerichteten erotischen Wünschen entsorgt, mitsamt den Kindern, welche er mit ihr gezeugt hat. Gedankenlos, sich keiner Schuld bewusst, ein Mann, der das Problem, das ihm die Frau ist, technisch zu beseitigen beabsichtigt. Ein böser Idiot. Mag sein.
Was aber ist Medea? Schlecht? Nein. Böse? Erbärmlich ist sie jedenfalls nicht. Wie sollen wir sie und ihre Tat bewerten? Entsetzlich? Unnatürlich? Beeindruckend? Beeindruckt sie uns nicht? Zeigt sie in ihrem kindesmörderischen Wahn nicht seltsame Größe? Der Mythos ist wie ein neckischer Gott am Wegesrand, der uns verschmitzt sein moralisches Gift reicht. "Hegt ihr trotz aller Entrüstung", so lässt er sich vernehmen, "mit dieser Frau nicht eine klandestine, verschwörerische Sympathie?" Erneut: eine unangenehme Frage!
Wie sollen wir Modernen sie uns beantworten? Vielleicht mit einer Gegenfrage: Ist Medea nicht eigentlich die schlechte und verhängnisvolle Verlängerung der jasonschen Bösartigkeit? Ist sie nicht nur Ausführungsscharnier einer zerstörerischen Maschinerie, Teil eines größeren Zusammenhangs, den man mit "schlechter Elternschaft" zu bezeichnen versucht ist?
Wir töten unsere Kinder. Wir töten sie in dem Maße, wie wir als ihre Eltern vor den Fragen, die das Leben uns stellt, jämmerlich zurückschrecken. Fragen, die zivilisierte Antworten verlangen und die wir wie barbarische Knoten barbarisch zerhauen. Fragen, an deren Höhe und Komplexität wir scheitern oder sie gar nicht erst bemerken.
"Oh Mensch! Du bist der Ausfluss einer ewig produzierenden Maschine! Männer, Frauen in verwirrter Wollust werfen Kinder, Kindeskinder in die Welt …"
Der Autor dieser Zeilen ist Vater, Ehemann und Mensch. Zumindest versucht er, die menschlichen Fragen entlang des Mythos, an dem er herumhäkelt, zu beantworten. Armselig der Versuch vielleicht. Und doch: Ein paar Maschen weiter gewoben am Gespinst, das zurückreicht hinter Euripides ins sechste Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung.
Die moderne Beziehung, die weibliche Emanzipation und Selbstermächtigung, der postkoloniale Hintergrund, der Kapitalismus, der Sozialismus, die Selbstbestimmung des Individuums, die Menschenrechte, die wissenschaftliche Aufklärung, die freudsche Enttäuschung, alles das gilt es mitzudenken. "Wie soll das alles noch im von den Dichtern hoch besung’nen Liebestempel enden?" Tja, "… wir sitzen in der Partnertherapie …", zumindest das. Und wählen uns Vertreterinnen und Vertreter, die gedeihliche Pflegschafts- Gesetze an uns zurückgeben, mit deren Hilfe wir unsere Kinder "töten".
Und sind wir nicht selbst getötete Kinder? Abgetötet? Abgerichtet? Hergerichtet von den Unseren und ihren Zusammenhängen, Institutionen, Staaten, Systemen? All unsere Möglichkeiten, all das Leben, das man uns versagt hat, dessen wir uns selbst berauben, indem wir uns den Gegebenheiten allzu früh und willfährig unterwerfen. Sind wir uns selbst denn gute Mütter, Väter?
Und diese Kinder – gibt es sie denn überhaupt?
Gernot Plass
Künstlerischer Leiter