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Johanna. Eine Passion

Von Christian Himmelbauer

Sehr frei nach Voltaire u.a.

Vorstellungsdauer
ca. 75 Minuten, keine Pause

Uraufführung

Premiere: Mi. 08. Nov. 2017, 20.00

Über Johanna. Eine Passion

Jeanne d’Arc – Mythos zwischen Hexe und Heiliger. Von Anfang an war Johanna eine Gestalt, die Legendenbildung geradezu provozierte. Und bis heute wird sie von unterschiedlichsten Seiten instrumentalisiert und für eigene Zwecke vereinnahmt. Wer war dieses Mädchen, das durch die Kraft ihres unerschütterlichen Glaubens die Weltgeschichte veränderte?



Christian Himmelbauer macht Johanna erneut den Prozess und stellt sie vor ihre Richter und Henker über die Jahrhunderte. Er konfrontiert sie mit diversen Deutungen ihrer Person und zeigt Versuche, diese singuläre Frauenfigur begreifbar zu machen. Sie selbst antwortet dabei auf alle Vorwürfe und Interpretationen mithilfe der einzigen Quelle, die als historische Wahrheit von ihr überliefert ist: den Originalaussagen, die sie 1431 in ihrem Prozess in Rouen ihrem Tribunal entgegenhielt und die als Beleg ihrer Überzeugung, ihrer Intelligenz und ihrer eindrucksvollen Stärke erhalten sind.



In einer raffinierten Textcollage aus unterschiedlichen literarischen, wissenschaftlichen wie journalistischen Annäherungen an Johanna führt Himmelbauer vor, wie schwer es uns fällt, das Außergewöhnliche in all seiner Kraft anzuerkennen.

Team

Es spielen
Text
Christian Himmelbauer
Regie
Christian Himmelbauer
Ausstattung
Alexandra Burgstaller
Dramaturgie
Tina Clausen
Licht
Hans Egger
Video
Andreas Wiesbauer
Regieassistenz
Renate Vavera
Kostüm-, Requisiten- und Fundusbetreuung
Daniela Zivic

Foto-Galerie

Über die Produktion

Wie sagte schon John Lennon? „Woman is the nigger of the world.“ Ein wegen seiner unlauteren Rede gerne vergessener Wut-Song aus dem Munde eines politisch Sensiblen. Und man muss es offen bekennen: Was Frauen und Mädchen in dieser Welt von Männern angetan wird, wurde und weiterhin angetan werden wird, ist ein monströser Berg von Herrschaft, Gewalt, Ausbeutung und Nötigung. Fasst man all das weibliche Leid in der Geschichte der Welt als Ganzes ins Auge, möchte man schier schreien und es gibt in der Geschlechterdebatte keine noch so blöde biologistische Ausrede, dieses Menschheitsverbrechen zu entschuldigen.

Aber es gibt auch die Erzählung vom weiblichem Kampf, weiblicher Gegenwehr, Dissidenz und Ermächtigung. In unserer aufgeklärten, säkularen Zeit längst begrüßt und angekommen, aber auch immer wieder gerne zur Seite gedrängt. Doch früher? Ein speziell leuchtender Faden in diesem Gewebe ist die Geschichte eines Bauernmädchens. Eine der wohl rätselhaftesten weiblichen Kämpferinnen überhaupt. Sie ist auf ihre Art und Weise unvergleichbar. Keine Frau hat die imperiale Geschichte des ausgehenden Mittelalters so nachhaltig geprägt und gedreht wie sie. Sie war eine überhöhte Heldin und Heilige auf dem Schlachtfeld, aber genauso, und wenn nicht noch mehr: eine verbissene Kämpferin in dem Prozess, der ihr gemacht wurde.

Sie stand alleine, völlig ungebildet einer Versammlung von über sechzig Inquisitoren gegenüber. Hochgradige Juristen, Theologen, Scholastiker, rhetorisch und ideologisch umfassend gebildete, detailversessene Haarspalter. Sie war über Wochen eingespannt in ein klein gemustertes, pingeliges Fragennetzwerk, einzig gelegt, um sie in die Falle zu locken, den geopolitischen Interessen ihrer Feinde zum Erfolg zu verhelfen. Und sie hielt dennoch selbstbewusst, unbeirrbar kompromisslos an ihrer Deutung der von ihr gesetzten Handlungen fest.

Dieser Figur sich zu nähern, sie zu verstehen, sie zu fassen und zu erklären, haben schon viele (zumeist Männer) versucht und dementsprechend gibt es unzählige Deutungen und Erklärungsmuster, die Motive zu begreifen, die zu ihrer Intervention in den von uns Heutigen sogenannten „Hundertjährigen Krieg“ zwischen England und Frankreich führten: Medizinische, psychologische, analytische, sexuelle, religiöse, geopolitische Spekulationen rankten sich im Verlauf der Jahrhunderte um das Phänomen Jeanne d’Arc. Plausible naheliegende, aber auch seltsame und groteske.

Und dann gibt das penibel geführte Protokoll ihres Prozesses, in dem sie mit ihren Originalaussagen in fester, klarer und verständlicher Sprache ihre Sache führt. Kein Wort des heutigen Abends, das, laut der Protokolle, Johanna nicht gesagt hätte. Radikal. Zurück zur Quelle!

Christian Himmelbauer ist ein Theatermann und ein besessener Dramaturg, der in den Sog der Faszination dieser Aussagen geriet, sich forttragen ließ und mehr und mehr zum ausgebildeten Fährtenschwimmer und Froschmann in dem ausufernden Gewässer der Spekulationen darüber wurde. Ein forschender Mann, der mit seinem feinen Werkzeug in die Blackbox Jeanne d’Arc hineingreift und, indem er diese Textsorten zueinander führt, eine weitere Deutung zutage fördert und den TheaterzuseherInnen vorlegt. Die trotz aller Fesselung und Gängelung fleischgewordene Standhaftigkeit. Die Frau als Säule. Marmorne Stele. Unbeweglichkeit als Stärke. Und um sie herum: Der Mann als das mit seiner Beschränktheit unzufriedene Tier.

Ein Wesen, das, wann immer ihm ein Phänomen vor seine Sinne tritt, das jenseits seines Wissens-, Erklärungs- und Erfahrungshorizontes zu liegen scheint, es zu sich in seinen Kreis zerrt, in sein kognitives Feld, es befragt. Es untersucht. Es verhört, mit all seinen Mitteln und Werkzeugen. In es vorzudringen beharrlich versucht, nur um sich einen Begriff zu machen, eine Antwort, eine Letzterklärung daraus hervorzuquetschen sich anschickt. Doch wehe, er erhält sie nicht und die Quelle versagt sich ihm, verweigert sich.

Dann gibt es nur noch zwei Möglichkeiten: Vernichtung und, wenn diese nicht möglich ist, der Ausweg, sich ganz einfach selbst die Antwort zu geben. Und so lehnen in der Welt- und Geistesgeschichte neben den großen Auslöschungen auch die großen männlichen Selbstbeantwortungen herum. Sie heißen Religionen, Logien, Sophien, Wissenschaften und sind doch nichts anderes als das Ausweichen in die Sekundärstufe der Gewalt.

Jeanne d’Arc, das Bauernmädchen aus Domrémy, ist ein Rätsel. Dieses androgyne, erleuchtete Wesen, das Armeen befehligte und zum Siege führte, entsetzliche Verwundungen überlebte, die Engländer aus allen ihren Stellungen in Frankreich trieb, einen französischen König krönte – alles das als Frau, als Jungfrau, als Teenager in dieser Zeit! Das ist und bleibt bis heute: Geheimnis. Für ihre Zeitgenossen, aber auch, und durch die Jahrhunderte, für Historiker, Ärzte, Psychologen und Forensiker. Was trieb dieses Projekt an? Welcher Kraftkern glühte in dieser kleinen Person, sodass sie die von so vielen bezeugten Reden und Taten verübte?

Ihre Stimmen, die sie, nach ihrer originalen Aussage und vor dem inquisitorischen Gericht erlitt. Und die sie aufforderten zu handeln.

Handeln auf Befehl, auf Weisung. Eine aus Leidenschaft verübte Tat. Man selbst ist weder Autor noch der Anlass solchen Tuns, sondern bloß willfähriges Werkzeug. Die Passion erduldet man – wie schon der Name sagt –, ist allenfalls Zeuge der ins Werk gesetzten, unausweichlichen Vorherbestimmung. Objekt eines wie auch immer stattfindenden Angriffs. Notdurft-Verrichtung. Abführung der spannungsgeladenen Bringschuld gegenüber dem Auftraggeber. KünstlerInnen und FanatikerInnen wissen davon zu erzählen.

Gernot Plass
Künstlerischer Geschäftsführer

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