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Der Sandmann

Ein musikalisches Schauermärchen

Von Bernd Liepold-Mosser und Oliver Welter

Frei nach E.T.A. Hoffmann

Eine Koproduktion von Flying Opera und dem TAG

Vorstellungsdauer
ca. 80 Minuten, keine Pause

Uraufführung

Premiere: Sa. 13. Jän. 2024, 20.00

TAG goes Musical: DER SANDMANN ist ein Schauermärchen mit Musik von „Naked Lunch“-Mastermind Oliver Welter. Es behandelt nicht weniger als die Illusionen und Verrücktheiten der Liebe, die Unsterblichkeit des Menschen und die Macht der Maschinen. E.T.A. Hoffmanns schwarze Romantik prallt auf Kybernetik, Dystopie und Rock'n'Roll!

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Über Der Sandmann

Die Unsterblichkeit – ein ewiger Menschheitstraum. Heute wird dieser durch avancierte Technologien in der Genetik und der Computerwissenschaft immer greifbarer: Uploading, Klonen, das Leben mit Roboter*innen und selbst die Existenz als kybernetischer Organismus ist nicht mehr undenkbar. Eine glückverheißende Utopie? Oder ein dystopischer Alptraum? Exklusiv und unheimlich in jedem Fall ... 

DER SANDMANN ist ein musikalisches romantisches Schauermärchen mit Musik von „Naked Lunch“-Mastermind Oliver Welter und Regisseur Bernd Liepold-Mosser, die bereits mehrfach am Theater zusammengearbeitet haben und für ihre Produktion AMERIKA am Stadttheater Klagenfurt 2011 mit dem Nestroy-Preis ausgezeichnet wurden. 

Nach seinen erfolgreichen TAG-Produktionen DIE RATTEN und HÖLLENANGST widmet sich der Autor und Regisseur Bernd Liepold-Mosser nun dem 1816 erschienen Kunstmärchen „Der Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann, in dem sich die Hauptfigur Nathanael in die Puppe Olimpia verliebt, was ihn schließlich in Wahnsinn und Selbstmord treibt. Der Musik von Oliver Welter liegt das Konzept einer „Musik der traurigen Maschinen“ zugrunde, aus dem er zahlreiche Songs entwickelte, die von ihm selbst und dem TAG-Ensemble live auf der Bühne performt werden.

Auf der Grundlage der Figuren und der Geschichte von E.T.A. Hoffmann verhandelt DER SANDMANN die Illusionen und Verrücktheiten der Liebe, die Frage nach der Unsterblichkeit und die vom Transhumanismus aufgeworfene, nicht mehr ganz so undenkbare Perspektive auf das, was nach dem Menschen denn so kommen könnte. Ein Schauermärchen 4.0.

Diese Produktion wurde als Koproduktion von TAG und FLYING OPERA mit der Unterstützung durch das BMKÖS und der Kulturabteilungen des Landes Kärnten und der Stadt Villach am 9. August 2023 als Open-Air auf dem Hauptplatz von Villach uraufgeführt und hatte im Jänner 2024 im TAG seine Wien-Premiere.

Team

Es spielen
Live-Musik
Alf Peherstorfer, Oliver Welter
Text
Bernd Liepold-Mosser
Regie
Bernd Liepold-Mosser
Choreografie
Petra Kreuzer
Ausstattung
Karla Fehlenberg
Musik
Oliver Welter
Dramaturgie
Tina Clausen
Visuals
Tomislav Gangl
Licht
Katja Thürriegl
Regieassistenz
Renate Vavera
Kostüm- und Requisitenbetreuung
Daniela Zivic
Tontechnik
Peter Hirsch
Bühnentechnik
Hans Egger, Manuel Sandheim, Andreas Wiesbauer

Foto-Galerie

Kritiken

“Für den umtriebigen Regisseur, Intendanten und Autor fand sich der Prototyp der Zukunft fressenden Maschine in Olimpia, der Puppe im Schauerroman von E.T.A. Hoffmann. In einer Überschreibung, bereichert mit Songs, die von wuchtigen elektronischen Klängen begleitet werden, hat er ein ungemein wirkungsvolles Stück Theater geschaffen, das eine verwirrende Vielzahl von Denkanstößen liefert. (…) Das bewährte Ensemble des TAG-Theaters macht sich mit Verve über dieses mit etlichen Songs garnierte ‚Musical‘ her.”
“Eine sensationelle Premiere feierte das heurige Open-Air-Musical von Erfolgs-Regisseur Bernd Liepold-Mosser und der Flying Opera. 'Der Sandmann' sorgte bei seiner Uraufführung auf dem Rathausplatz mit sensationeller Musik, genialen Videosequenzen und großartiger schauspielerischer Leistung bei schauriger Handlung für stehende Ovationen.”
Villach: Stadtzeitung
“Gelungene Uraufführung. (…) ‚Der Sandmann‘ fesselte in der Neuinterpretation von Regisseur Bernd Liepold-Mosser und Naked-Lunch-Mastermind Oliver Welter als technoid-philosophisches Pop-Musical, das mit einem hervorragenden Ensemble begeisterte. (…) Oliver Welter und seine Mitmusiker Alf Peherstorfer und Boris Häuf strukturieren mit elf Songs, die zwischen harten Elektronik-Beats und ruhigen Piano-Klängen wechseln, das schaurige Märchen. Nicht nur Welter greift zum Mikrofon auch die fünf Darsteller interpretieren jeweils Songs. Videoeinspielungen von Tomislav Gangl und die exakte Choreografie von Petra Kreuzer, die die Darsteller phasenweise wie roboterartige Marionetten wirken lässt, machen das rockige Musiktheater von Bernd Liepold-Mosser und Oliver Welter zu einem schaurig schönen Spektakel. Das ist auch ein Verdienst der Schauspieler vom Wiener TAG (Jens Claßen, Michaela Kaspar, Raphael Nicholas, Lisa Schrammel, Georg Schubert), das diesmal Kooperationspartner für das Kärntner Team von ‚flying opera‘ ist.”
“Mit sowohl deutschen als auch englischen Liedtexten und Dialogen in der Diktion der Romantik wirkt ‚Der Sandmann‘ als Pop-Musical verblüffend heutig. Optisch stark sind die abstrakten Videoprojektionen von Tomislav Gangl, der auch für die slowenische Kultband Laibach die Musikvideos macht; die von Petra Kreuzer exakt choreografierten Bewegungsabläufe lassen die Darsteller wie roboterartige Marionetten wirken. (…) Die knapp 80 Minuten lange Koproduktion ‚Der Sandmann‘ von flying opera und TAG Wien ist ein vielschichtiger, düsterer Theaterabend, der bei der Uraufführung vom Premierenpublikum mit Standing Ovations gefeiert wurde.”
Salzburger Nachrichten
“Aktualisierende Texteinschübe lassen das Thema der Technisierung der Gesellschaft anklingen - bis hin zum Herzschrittmacher des einzelnen Menschen, zu Diskussionen über künstliche Intelligenz, aber zu auch Problemen eines sexistisch reduzierten Frauenbildes. Welters klangliche Konnotationen sind äußerst eindringlich. In manchen Phasen des eineinhalbstündigen Abends scheint der Asphalt zu beben.”

Über die Produktion

Die Maschine verrichtet die Arbeit. 

Die Maschine enthebt uns der Mühsal.

Die Maschine bettet uns ein in die Bequemlichkeit, die Langeweile und in die Flachheit des hyper- und postmodernen Lebens mit seinen Ansprüchen auf bedingungslose Grundbefriedigung, Versorgung und Streaming-Unterhaltung. Die Maschine kriecht, wie einst im Paradies die Schlange, verlo-ckend in unsere Lebenswirklichkeit und reicht uns einen Apfel, von dem abzubeißen das Logo des Apparates selbst schon redet. Eine verwirrende, diabolische Verstrickung.
Doch dem nicht genug: Homo Faber baut inzwischen Apparate, deren Morphogenesis sich dermaßen an ein ideales und somit auch erotisierendes Menschenbild angleicht, dass es einen schaudern machen möchte.

Was trennt einen satellitengesteuerten Rasenmäher von einem empathische-Gebärden-heischenden, algorithmisch-lernenden, altenpflege- und sterbebegleitungskompetenten Robo-ter? Was? Ein historischer Wimpernschlag.

Wir leben in der zeitlichen Abfolge dieses Wimpernschlags. Wir sind die halbschlafenen Zeugen dieser mächtigen Umbaupro-zesse. Halbschlafen deshalb, weil wir mit dem einen Auge nur deren Segnungen erkennen, mit dem anderen aber blind sind für deren Fluch.

Das Herrschaftsgeschehen dahinter nämlich ist nicht nur smart, sondern auch anonym, weltumspannend und bewegt Kapital, von dessen Volumen sich unsereiner genauso wenig Vorstellung machen kann wie von der Innenwelt eines Serverparks. Und man hat begonnen, die Welt umzubauen. Sie im Großen neu zu errichten. Reset. Ein Geschehen, so faszinierend wie beängstigend – denn die meisten Umbauprozesse, das wissen wir spätestens seit Schumpeter, beginnen mit dem Einsatz der Abrissbirne.

Ein dampfbetriebener Webstuhl setzt tausend Weber*innen aus dem Brot in die Not. Ein dieselbetriebener Mähdrescher treibt tausend Erntehelfer*innen in die Migration. Ein kybernetisch gesteuerter Schweiß-Roboter tausend Arbeiter*innen der Autoindustrie in die Depression.

Die Macht aber verhüllt ihr Interesse, ihr Gesicht, sie nennt ihren Namen nicht, sie enthüllt sich nicht als Quelle von Durchsetzung. Sie kriecht über die betörenden Apparate und die medial vermittelten Diskurse in unsere Lebenswirklichkeit, verändert unser Denken, unser Verhalten, unsere Begriffe, Gespräche, unsere Sprache selbst. Das Dogma der Technisie-rung unserer Welt, unserer Gesellschaft ist – merkt das jemand? – ein unaufhaltsamer, schicksalsgleicher, aber dennoch menschgemachter Abbruch.

Die König*innen der Welt sind technikgläubige Futurist*innen, ausgestattet mit gigantischer Medienmacht und einem dermaßen mächtigen Kapitalhebel, dass sie in eine beinahe Allmachtposition versetzt sind. Maschinen-Mogule, denen alles machbar erscheint. Olympier, die einzig noch an ihrer Unsterblichkeit arbeiten.

Das Herrschaftsgeschehen aber bleibt anonym. Die Maschinen verrichten. Die Autos fahren schon von selbst. Die Satelliten fliegen hoch über unseren Köpfen. Die Regie-renden verwalten. Die Medien propagieren. Und die Künstler*innen? Schweigen. Alle Künstler*innen?

Nein.

Bernd Liepold-Mosser ist ein geistiger Vor- und Verarbeiter dieser gigantischen Umwälzungen. Ein Avantgardist unter den Theatermacher*innen, nicht nur der Form nach, sondern auch und wegen seines Themas. Seine philosophisch durchdachten Assoziationen mit dem Geist der dunklen Romantik eines E.T.A. Hoffmanns stellen gerade die Verbindungen her, die jede*n Aufwachende*n und sich den Sand aus den Augen reibende*n Zeitgenoss*in warnen sollten: Denn es gibt eine direkte Linie von la Mettrie über Mary Shelly, Marinetti, D’Annunzio zu Elon Musk und seinen milliardenschweren Mitstreiter*innen. Unterstützt wird er dabei von den elektronischen Klängen der eigens komponierten Songs von Oliver Welter, einer „Musik der traurigen Maschinen“. Und – so fragt sich der/die Besorgte – folgt nicht auf jeden ungeduldigen Futurismus ein konsequenter Faschismus? Liepold-Mosser zeigt mit eleganter Regiehand auf die Gefahren eines nach neuerem Gerede im Schwange sich befindenden sogenannten „Transhumanismus“

Ja, der neue Mensch steht scharrend schon in den Startlöchern. Er wird gerade aus seiner Transportverpackung befreit und ins diskursive Scheinwerferlicht gerückt. Er erscheint – aber nicht als der nietzscheanische Übermensch, welcher einst auf seinem asketischen Stern durch Übung sich aufschwang zu seinem Willen zur Macht, sondern es tritt auf: der technisch zugerüstete und optimierte Mensch, der letzte Mensch, der sein mentales Geschehen, seine Kognitionen und selbst seine emotionalen Regungen, ja seinen Geist in die Maschine kippt und in den Schaltkreisen sich seine Unsterblichkeit imaginiert – der Cyborg.

Der alte Mensch scheint überflüssig. Der unnütze, stumpfsinnig arbeitende und den Planeten verbrauchende Mensch. Dieser Typus ist der auszulesende, der zu bekämpfende. Der industrielle Prolet. Das animal laborans, wie Hannah Arendt ihn nennt. Willkommen also in der schönen neuen Welt. Wie viele sind wir nochmal? Nach der letzten Zählung? Sieben oder schon acht Milliarden? – Wir wünschen einen nach-denklichen Theaterabend.

Gernot Plass
Künstlerischer Leiter des TAG 

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