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Unterm Strich

Ein Jahrmarkt der Eitelkeit

Von Margit Mezgolich

Sehr frei nach „Jahrmarkt der Eitelkeit“ von William Makepeace Thackeray

Vorstellungsdauer
ca. 80 Minuten, keine Pause

Uraufführung

Premiere: Sa. 21. April 2018, 20.00

Derniere: Mi. 13. März 2019, 20.00

Über Unterm Strich

“Der Martin! Das gibt’s nicht! Wie du ausschaust – ich mein, gut schaust du aus!”



Klassentreffen Abschlussjahrgang 1991. 27 Jahre später. Was ist aus dem ehemaligen Klassenschwarm geworden? Warum hat ausgerechnet der nerdige Außenseiter Karriere gemacht? Wieso lebt die Tochter aus bestem Haus heute am Rand der Gesellschaft? Wer hat es geschafft am Jahrmarkt der Eitelkeit? Wer ist unter die Räder gekommen? Haben wir unser Leben wirklich fest im Griff oder letztendlich gar nichts in der Hand? Und was hat das alles mit einem Buch aus dem Jahr 1848 zu tun?



Margit Mezgolich lädt mit UNTERM STRICH nicht nur zu einem schrägen Klassentreffen, sondern schickt auch fünf Menschen auf eine rasante Zeitreise durch die letzten drei Jahrzehnte. Ein humorvoll turbulenter Trip, gespickt mit jeder Menge Verwicklungen, Betrügereien, Liebesgeschichten, Machtspielen und Schicksalsschlägen.



UNTERM STRICH spielt lustvoll mit all den Banalitäten, Trivialitäten und niederen Trieben, die uns Menschen womöglich von unserer wahren Größe und echten Heldentaten abhalten. Mit komödiantischem Volldampf und Tiefsee-Ausrüstung durch seichte Gewässer.

Team

Es spielen
Text
Margit Mezgolich
Regie
Margit Mezgolich
Ausstattung
Alexandra Burgstaller
Musik. Arrangements
Gerald Resch
Dramaturgie
Tina Clausen
Licht
Hans Egger, Katja Thürriegl
Ton
Andreas Wiesbauer
Regieassistenz
Renate Vavera
Regiehospitanz
Lila Ludwig

Foto-Galerie

Kritiken

“Margit Mezgolich hat aus dem Stoff einen reizenden, filmartigen Abend gebaut (mit einem gelungenen Handlungs-Twist am Ende) und nutzt die Gelegenheit für humorvolle Anspielungen auf das Zeitgeschehen der vergangenen 30 Jahre – und für schöne Theater-Insidergags. (…) Jens Claßen, Raphael Nicholas, Lisa Schrammel, Georg Schubert und Petra Strasser spielen (und singen!) großartig.”
Kurier
“Ein turbulenter Theaterabend. (…) Das Leben, eine Seifenoper, temporeich und amüsant inszeniert.”
Katrin Nussmayr — Die Presse
“Sarkastisches Spiel. (...) Großer Wiedererkennungswert für Menschen jenseits der 40.”
Falter
“Thackerays Fortsetzungsroman von 1848 schaute liebevoll ironisch auf Londons viktorianische Gesellschaft zurück. Wie er fragt Margit Mezgolich mit Blick in die jüngere Vergangenheit nach der Schicksalshaftigkeit des Lebens. (…) Nichtsdestoweniger wird man 80 Minuten lang kolossal unterhalten, wie von manchem Woody-Allen-Film aus den Neunzigern. Wien erlebt gerade den ersten richtigen Sommer des Jahres. Dieser süffige Jahrmarkt der melancholischen Heiterkeit passt perfekt dazu.”
Martin Thomas Pesl — Nachtkritik.de
“Die Bühnengestaltung von Alexandra Burgstaller – viele Luftballons und Kisten – sagt schon einiges aus: Es geht um Lebensträume und Lebensbilanzen. (…) Das Stück fragt: Was bleibt “unterm Strich”? Beruht das Schicksal auf Leistung, auf Zufällen, oder zieht jemand die Fäden wie im Marionettentheater? Sind wir alle nur Spielfiguren, die einmal in der Kiste landen?”
Heiner Boberski — Wiener Zeitung
“Mezgolich hat da mehr zu bieten. Wer will kann sich mit ihren Figuren auf Zeitreise begeben. Wo war man, als die Mauer fiel, Lady Diana verunglückte, 9/11 passierte? Immer wieder erinnern Nachrichtensprecher an die dramatischsten Ereignisse der vergangenen dreißig Jahre. Zeitreise ist das große Thema des Abends, an dem Raphael Nicholas in altertümlicher Aufmachung und mit Zeremonienstock als letzter an die Thackeray’schen Charaktere gemahnt. (…) Was bleibt vom Leben „Unterm Strich“? – das ist die eindringliche Frage, die Margit Mezgolich mit ihrem Text an die Zuschauer weiterspielt.”
Michaela Mottinger — Mottingers Meinung

Über die Produktion

Trifft man Aussagen, denen man rechnerische Metaphern wie „in Summe“, „zusammengerechnet“, „nach Abzug aller” usw. voranstellt – Aussagen also, die auf Bilanz verweisen –, zieht man gedankliche Striche, die Summen oder Abstraktionen ankünden, welche wiederum Diskurse, Reden, Dialoge und vor allem sogenannte „Lebensrechnungen“ abzuschließen sich bemühen, soll der Wurf nahe dem Ziele einschlagen und dieses auch noch mit gebührender Kraft tun. Ja, Aussagekraft faltet sich gerne unter diesen Strichen auf. Erst „unter Strichen“ heischt man nach der Wahrheit. Und ist man nicht nur einer rhetorischen Taktik verpflichtet, sondern durch Redlichkeit im Grunde motiviert, erglänzt über dem Gesagten tiefere Bedeutung und die Sätze scheinen uns aus einer anderen, höheren Sphäre her zu kommen. Redet man also „unterm Strich“, hat man vielleicht nur Weniges zu sagen, selten Originelles, aber man verspricht zumindest Gewicht zu liefern, Wucht und vor allem: Klarheit.

Denn: Was bleibt? Was wollen wir wirklich? Worum geht´s? Der Sinn des Lebens? Schicksal? Zufall? Zwischenstand: Die Krise unseres mittleren Alters: Oft bemüht, belächelt. Nicht? Jetzt trifft sie die berüchtigte „Generation X“. Die wohlstandsverwahrlosten Fernsehkinder, die desinteressierten Möchtegerns und KonsumfetischistInnen. Und wäre diese Generation nicht sie selbst, begegnete sie der Schwelle hin zum Alter nicht mit der gleichen Oberflächlichkeit, Eitelkeit und Selbstvergessenheit, die sie im Taufschein von Douglas Coupland definierte.

Nietzsches letzte Menschen, die an irgendeinem Resort-Pool auf einer thailändischen Insel cremefett in die Sonne blinzeln. Oh welch´ Überraschung! Auch sie – auch diese ewig Satten – müssen sterben. Auch ihnen gähnt der Abgrund. Das Kommende. Das Nichts. Ja hat man das denn nicht gewusst? Das kam nicht in der „Sendung mit der Maus“, oder? Dagegen kann man auch keine Kontrakte mit Assekuranz-Betrieben schließen. Wenn die Eltern sterben und man ihre Kleiderkästen öffnet, Abgetragenes von seinen Bügeln nimmt, vielleicht noch daran riecht und dann zur Sammlung schleppt, gehen so Manchem innerliche Türen auf, geheime Klappen in der Lebenskiste, Sichtschächte, wenn auch nur kurz. Es weht ein etwas kälterer Wind. Und plötzlich fängt man sich zu fragen an mitunter, ob nicht das Dasein mehr bereithält als das bisher Realisierte.

Wo bin ich einst gestartet? Und was wollte ich einmal? Wo bin ich abgebogen und wie konnte ich mich bloß so abgrundtief verirren?

Die göttliche Komödie, jenes Werk, das einen Dichter durch die sieben Höllenkreise führt, beginnt mit dem berühmten Ausspruch: In der Mitte meines Lebens fand ich mich wieder, dort in einem dunklen Wald.

Das Werk, das hier als Ausgang (auch im Doppelsinn) fungiert, ist William Makepeace Thackerays „Jahrmarkt der Eitelkeit“, ein epochaler Roman, der im Untertitel „ohne echte Helden“ auszukommen verspricht. Ein früher, sogenannter „Gesellschaftsroman des 19. Jahrhunderts“, dem noch so viele folgten. Das Panoptikum der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Sei es nun im „Empire“ oder im „Fin de Siècle“, in unserer spätkapitalistischen Postmoderne, aber auch in einer fernen Zukunft. Da, wo Menschen sind, ist Kampf, ist Eitelkeit, Rivalität, regiert der Stumpfsinn und die Dummheit.

Ein Abschlussjahrgang einer Schauspielschule, der nach Jahren sich an einem unheimlichen Ort wieder zu begegnen verabredet. Menschen, die sich selbstvergessen in das eigenwillige Performativ eines ihrer Kollegen verwickeln. Sie dienen in dieser Anordnung als Sinnbild für eine egoistische und selbstverliebte Ausgabe der Spezies Mensch, die längst aufgehört hat, sich die eigentlichen Fragen noch zu stellen, um wenigstens den Sinn von allem hier zu suchen.

Margit Mezgolich ist eine Suchende, eine Sich-Fragen-Stellende, aufmerksame, horchende Theatermacherin: Auf die Unterströmungen, den tiefen Puls, der hinter aller Oberflächlichkeit schlägt. Ihr feines Gehör räsoniert empfindlich mit den aus der Ferne klingenden Tönen, die Thackeray anstimmt. Ist alles nicht im Angesichte unserer Lächerlichkeit, unserer Verletzlichkeit in dieser Welt ein eitler Wahn? Wie nur befreit man sich aus diesen ewigen Spielanordnungen, Gesetzlichkeiten, Sittlichkeiten, Normen? Wie entkommt man der gefängnisgleichen und gewöhnlichen Gewohnheit? Ist da ein böswilliger und zynischer Demiurg? Ein Spiele-Anleiter, Puppenspieler, der uns aus der Mottenkiste eines kosmischen Theaters holt, uns aufruft, dann gelangweilt uns mal länger, kürzer, eiliger den einen, behaglicher den anderen betreibt, nur um uns dann und allesamt erneut in dieser dunklen Kiste zu entsorgen? Wo bleibt des Menschen Würde da?

Freilich. So wie der Mensch sich in gesellschaftlichen Formationen durch die Zeiten wälzt, ist ihm (jaja, und ihr, der MenschIn auch) mit Skepsis zu begegnen. Der Mensch und sein Dasein können furchtbar sein, manchmal bewundernswert, in Werk, Vernichtung, Leistung, Opfer, zumeist ist es banal. Doch gelingt es Einzelnen dennoch sich zu befreien, den rechten Eigensinn zu kultivieren, zu einer Größe sich emporzuschuften, deren lichte Spitzen dann – um wieder Nietzsche zu bemühen – in Verzückung münden. Die Hoffnung lebt noch und vor allem post mortem televisionis. Was bleibt? In Summe und nach Abzug all der Unechtheit im Angesicht des Todes? Unterm Strich? Vielleicht das warme Licht von Verständnis, Solidarität, Einheit in der gleichen absoluten Situation? Liebe? – Vielleicht, vielleicht. Und so hören wir der Mezgolich gerne zu, wenn sie verschmitzt uns leise gesteht: „Ich mag die Menschen!“

Gernot Plass
Künstlerischer Geschäftsführer

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